Essay
Taugt die Evidenz des Visuellen als Argument?
Zehn Thesen als Plädoyer dafür, genauer hinzuschauen
Ließe sich eine Bundestagsdebatte über Steuerfragen ohne Worte, in Bildern führen? Die Frage wird wohl niemand ernsthaft mit »ja« beantworten. Wer in der Diskussion über visuelle Rhetorik der Bedeutung der Bilder gerecht werden möchte, sollte die Bedeutung der Worte würdigen. Bilder wie Worte leisten viel, manches ähnlich, manches unterschiedlich, manches gemeinsam besser als allein. Dies gilt es genau zu betrachten und dabei das voneinander zu scheiden, was zu scheiden möglich ist. So weit, so schön – der Haken an diesen Gedanken ist, dass sie Fragen aufwerfen, zu denen unzählige Abhandlungen bereits Bibliotheken füllen. In verschiedenen Publikationen gerade der letzten Jahre finden sich Ausführungen darüber, dass oder wie Bilder als Argumente und Gründe genutzt werden könnten, und dabei werden ganz unterschiedliche Aspekte ins Feld geführt.[1]
Im Folgenden möchte ich einen Aspekt aufgreifen, der keinesfalls die gesamte Diskussion abbildet, aber einen Begriff untersucht, der in der Diskussion über visuelle und Bildrhetorik von Bedeutung ist. Oft wird darauf hingewiesen, dass die Evidenz des Visuellen ja direkt spreche, direkter als Worte – die Unmittelbarkeit des bildlich Dargestellten vermittle sich klar, einfach und deutlich. Ja und nein, mir scheint, man sollte etwas genauer hinschauen. Es gibt Bilder, die dem nicht entsprechen, weil sie – gewollt oder ungewollt – verrätselt sind und gedeutet werden müssen (schöne Beispiele dafür finden wir in der Rubrik »Illustrationen« in den Fotografien von Valentin Wormbs); und es gibt durchaus Worte, die Klarheit schaffen. Zum anderen ist die unmittelbare Wirkung, die Bilder auf uns ausüben können, gerade wegen ihrer Unmittelbarkeit nicht so klar, deutlich, verständlich, wie wir meinen. Gegen den Gedanken, die Evidenz des Visuellen tauge als Argument, trage ich mit den zehn folgenden Thesen Einwände vor. Sollten sie greifen, dann bliebe gleichwohl die spannende Fragen offen, wie eine Argumentationslehre des Visuellen angegangen, wie von der visuellen Rhetorik entwickelt werden könnte.