Mythen des Alltags

Die drei Fragezeichen

Keine gute Nacht ohne sie

Von Corinna Lauble


Rein ins Bett und unter die Decke.
»Also ver­ehr­te Herr­schaf­ten, der Fall ist gelöst.« »Wel­cher Fall?«[1]
Die Bett­de­cke hoch bis zur Nasen­spit­ze ziehen –
»Nun, wenn ich ihnen mei­ne Kar­te geben dürf­te, Madame« – »Die drei Detektive …«
sich auf die ande­re Sei­te dre­hen und eine beque­me­re Schlaf­po­si­ti­on suchen,
»… wir über­neh­men jeden Fall …«
die Augen schließen.
»Ich habe die Jun­gen enga­giert, weil ich befürch­te, dass jemand in mei­nem Umfeld der Kon­kur­renz Infor­ma­tio­nen zuspielt.«
Die Atmung wird ruhiger.
»Her­ein.– Ach, seid ihr die Jun­gen aus Rocky Beach, die Hen­ry ange­kün­digt hat?«
Alle Mus­keln ent­span­nen sich.
»… doch dann ist er plötz­lich ver­schwun­den, ohne eine Spur zu hinterlassen.«
Leich­tes Wegdämmern.
»… und was hal­tet ihr von der Mög­lich­keit, dass das W für Wat­son ste­hen könnte?«
Eingeschlafen.

Am nächs­ten Abend dann die Über­le­gung: Ab wel­cher Stel­le war man nicht mehr auf­merk­sam dabei gewe­sen? Und so kommt es vor, dass für eine Fol­ge gut und ger­ne fünf Aben­de benö­tigt wer­den. Bei 224 Fol­gen, Stand Novem­ber 2023, sind das umge­rech­net etwa drei Jah­re Hör­ma­te­ri­al, bevor wie­der von vor­ne begon­nen wer­den muss. Beru­hi­gend. Hin­zu kom­men jedes Jahr vier neue Fol­gen, plus Son­der­fol­gen. Die nächs­ten Jah­re sind geret­tet. Will­kom­men in der Welt der »drei Fra­ge­zei­chen« und der Hörer, die ihnen ihren Schlaf schulden.

»Die drei Fra­ge­zei­chen«, das sind Jus­tus Jonas, 1. Detek­tiv, der Chef, Schlau­ber­ger und ein wan­deln­des Lexi­kon mit Hang zu leich­tem Über­ge­wicht. Peter Shaw, 2. Detek­tiv, gut aus­se­hend, sport­lich, jedoch eher ängst­lich. Bob Andrew, zustän­dig für Recher­chen und Archiv. Die drei leben in Rocky Beach, einer fik­ti­ven Klein­stadt Nähe Los Ange­les in Kali­for­ni­en.[2] Sie altern kaum, sta­gnie­ren etwa beim Alter von 17 Jah­ren, haben nie Schul­stress, gefühlt eher immer Feri­en, und stets neue Fäl­le, die gelöst wer­den müs­sen. Die Zen­tra­le der drei Jungs ist ein aus­ran­gier­ter Wohn­wa­gen, der auf dem Gebraucht­wa­ren­cen­ter von T. Jonas, Jus­tus’ Onkel, steht, ver­steckt unter allem mög­li­chen Schrott mit meh­re­ren Geheimein­gän­gen.[3] Pro­ble­me mit Eltern oder der Tan­te und dem Onkel gibt es nicht. Was für ein tol­les Leben.

»Sie wol­len Titus fest­neh­men!« … »Mis­ter Jonas hat Die­bes­gut auf dem Schrott­platz ver­steckt. Der Han­del mit gestoh­le­ner Ware gilt als Heh­le­rei und wird mit Gefäng­nis bestraft.«

Seit 1979 begeis­tern sie mit immer neu­en Hör­spiel-Fäl­len ihre Fans. Rät­sel­haft, gru­se­lig, mys­te­ri­ös und manch­mal etwas abge­fah­ren, heisst es Fol­ge um Fol­ge: »Wir drei sind Detek­ti­ve. Darf ich ihnen unse­re Kar­te geben?« Jedem Hör­spiel vor­aus erscheint ein Buch. Ihren Ursprung haben die Geschich­ten in Ame­ri­ka. Robert Arthur schrieb ab 1964 »The Three Inves­ti­ga­tors«.[4] Die Geschich­ten wur­den welt­weit beliebt und fan­den vor allem in Deutsch­land und Ban­gla­desch einen hohen Absatz. Arthur war gro­ßer Fan von Arthur Conan Doyle und des­sen Erzäh­lun­gen über Sher­lock Hol­mes. So ähnelt der Cha­rak­ter des ers­ten Detek­tivs Jus­tus dem von Sher­lock Hol­mes. Oft insze­niert Jus­tus sei­ne intel­lek­tu­el­le Über­le­gen­heit und lässt die ande­ren neben sich eher dumm aus­se­hen.[5]

Wie haben die drei Kult­sta­tus erreicht? Immer­hin zäh­len »Die drei Fra­ge­zei­chen« mit über 50 Mil­lio­nen ver­kauf­ten Ton­trä­gern zu den belieb­tes­ten Hör­spie­len der Welt.[6] Sie begeis­tern eine Fan­ge­mein­de, die sich aus allen Alters­grup­pen zusam­men­setzt. Dass ihnen auch so vie­le Erwach­se­nen­fans treu geblie­ben sind, liegt unter ande­rem dar­an, dass die Prot­ago­nis­ten der Serie seit Beginn an von den glei­chen Spre­chern gespro­chen wer­den: Oli­ver Rohr­beck – Jus­tus, Jens Wawrc­zeck – Peter, Andre­as Fröh­lich – Bob. Vie­le der erwach­se­nen Hörer sind mit den drei­en auf­ge­wach­sen und ver­bin­den mit ihnen ihre Kind­heit. Abends im Bett noch eine Kas­set­te hören, dann wird geschla­fen. Die meis­ten erwach­se­nen Fans nut­zen die Geschich­ten heu­te zum Ein­schla­fen, als Ent­span­nung und zum Abschal­ten. Die Geschich­ten besit­zen Kon­ti­nui­tät, sie sind ver­traut und ver­läss­lich. Am Ende wird immer alles gut. Sie bie­ten eine Flucht aus dem All­tag. Der Schlaf­for­scher Pro­fes­sor Ingo Fiet­ze ist der Mei­nung, das Hören von Geschich­ten zum Ein­schla­fen sei eine gute Idee.[7] Er sagt, für die Ein­schla­fen­den sei es beson­ders attrak­tiv, wenn die Stim­me eine gewis­se Mono­to­nie besä­ße. Dies spricht für die Män­ner­stim­men hier im Hör­spiel. Sie sind nicht schrill und piep­sig. Wei­ter meint er, dass Hör­spie­le aus der Kind­heit Gebor­gen­heit simu­lie­ren kön­nen. So lässt sich fol­gern, war­um sich gera­de die alten Hör­spie­le aus der Kind­heit einer sol­chen Beliebt­heit erfreuen.

»Kol­le­gen, wer auch immer die­ser Moria­ty ist, er muss ziem­lich ein­fluss­reich sein. Er hat nicht nur hei­ßes Die­bes­gut auf dem Schrott­platz ver­ste­cken las­sen, son­dern auch fal­sche Zeu­gen ange­heu­ert, denen die Poli­zei rück­halt­los vertraut.«

1924 kamen die ers­ten Hör­spie­le im Radio. Es man­gel­te jedoch an Autoren und wur­de daher noch von den Rund­funk­mit­ar­bei­tern selbst initi­iert.[8] Auch gab es noch kein Ver­trau­en, dass die­se Art des »nur Hörens« funk­tio­niert, waren doch die Licht­spie­le popu­lär. In der Zeit­schrift »Der Deut­sche Rund­funk« von 1925 schreibt Wils­berg zur Dra­ma­tur­gie des Hör­spiels: »Das Hör­spiel als art­ei­ge­ne künst­le­ri­sche Aus­drucks­form dra­ma­ti­schen Erle­bens wirkt, wie schon der Name kund­gibt, nur durch das Ohr auf die See­le des Mit­er­le­bens, im Gegen­satz zum Licht­spiel, das nur durch das Auge hin­durch den Weg in die See­le fin­det.«[9] Ab 1928 gewann das Hör­spiel immer mehr an Bedeu­tung. Neue tech­ni­sche Mög­lich­kei­ten wur­den ein­ge­setzt, und so ent­fal­te­te es mehr an künst­le­ri­scher Wir­kung. Jedoch waren die Hör­spie­le anfangs noch »lite­ra­risch-ästhe­tisch anspruchs­voll, inhalt­lich beleh­rend oder belang­los unter­hal­tend«[10].

»Es – nein – es tut mir leid, es wird nie wie­der vor­kom­men. Wirk­lich.« »Stellt ihn auf die­se Sei­te der Brü­cke und fes­selt ihm die Hän­de. Er wird bestraft.« »Nein, nein Sir, nein, bit­te – ich, ich tue alles was sie wollen!«

Heu­te sind Hör­spie­le in Kin­der­zim­mer gang und gäbe. Im ste­ti­gen Wan­del ist nur das Medi­um. Die ers­ten 30 Fol­gen der »drei Fra­ge­zei­chen« erschie­nen sowohl auf Schall­plat­te als auch auf MC-Kas­set­te, ab 2001 zusätz­lich auf CD, seit 2008 als MP3. Ab 2012 stell­te Euro­pa die Kas­set­ten­pro­duk­ti­on ein, außer bei den drei Fra­ge­zei­chen, wegen der hohen Nach­fra­ge.[11] Längst haben sich die Strea­ming-Diens­te in vie­ler­lei Hin­sicht durch­ge­setzt. »Die drei Fra­ge­zei­chen« las­sen sich aber nach wie vor auf Kas­set­te und sogar wie­der auf Schall­plat­te kau­fen. Hier gewinnt die Nostalgie.

Oli­ver Rohr­beck sag­te in der Talk-Show bei Mar­kus Lanz, dass er glau­be, die Kas­set­ten­kin­der von damals, die abends im Bett zum Ein­schla­fen noch eine Fol­ge hören durf­ten, und die, die es heu­te noch gleich tun, bis heu­te die Enden der Fol­gen nicht ken­nen, da man selig nach dem Wen­den der Kas­set­te ein­ge­schlum­mert war.[12] Denn man war sich sicher: Die drei lösen den Fall schon. Strö­men des­halb jähr­lich zehn­tau­sen­de Men­schen zu den Events der »drei Fra­ge­zei­chen« in Mes­se­hal­len, um bei vol­lem Bewusst­sein live und in echt das Ende mit­zu­er­le­ben? Von allen wird man es nicht erfah­ren, aber aus dem pri­va­ten Umfeld der Autorin die­ser Zei­len hat eine Umfra­ge erge­ben: Die meis­ten ken­nen die Enden der Geschich­ten doch. Natür­lich wer­den die Fol­gen zum Ein­schla­fen genutzt, doch ist man gleich­zei­tig auch Fan der Geschich­ten und möch­te erfah­ren, wer der Übel­tä­ter ist.

»Ich den­ke, das reicht. Good­win, abführen …«

Und so wer­den die Fol­gen wei­ter gehört; Abend für Abend, bis auch das Ende mit­er­lebt wird. Der Fan wünscht sich: Lie­ber Oli­ver, lie­ber Jens und lie­ber Andre­as, bit­te bleibt so lan­ge wie mög­lich »die drei Fra­ge­zei­chen« – damit das Ein­schla­fen der unzäh­li­gen treu­en Zuhö­rer eine Kon­stan­te in ihrem all­täg­li­chen Leben bleibt.

»Oh, Mann, Jus­tus.« »Ers­ter!« »Und wir dach­ten schon, wir hät­ten dich für immer ver­lo­ren.« »Ich bin halt wie Hol­mes Zwei­ter; ich kom­me immer wieder.«