Rede
Worauf es ankommt
Über die durchaus politische Rolle der Gestalter
An der Hochschule Konstanz hielt der im Allgäu arbeitende Gestalter Andreas Koop eine Rede an die Absolventen der Studiengänge Kommunikationsdesign, in der er grundsätzliche Fragen über die Rolle der Gestlatung in unserer Gesellschaft aufwirft. »Sprache für die Form« veröffentlicht im Folgenden das Manuskript dieser Rede.
Trotz aller »partiellen Beschaulichkeit«: Es verändert sich etwas auf dieser Welt. Und wir als Gestalter werden darin unsere Rolle finden müssen. Vielleicht ist es ja ein wenig gemein und ketzerisch zu fragen: Was wäre eigentlich, wenn es gar kein Design gäbe? Die eigene Rolle, der Einfluss, Wert, Nutzen, Sinn – all das kann man ganz gut absehen und abschätzen, wenn man es einmal genau andersherum versucht zu sehen. Wäre die Welt wirklich so viel ärmer?
So lange gibt es uns als Gestalter und unsere Profession ja noch nicht. »Beruf« mag man gar nicht sagen, in solch einer »ambulanten Branche«, die wenig »Ständisches« hat, wenig Gemeinsames oder Übergreifendes – und für die meisten im »gemeinen Volk« ohnehin auch wenig Greifbares.
Schauen wir auf unsere Kollegen von der Architektur. Die Architektur hat eine längere Geschichte, reflektiert sich über die Architekturtheorie auch schon seit längerem selbst, hat ein klarer umrissenes Feld und einen nachvollziehbareren und auch geschützteren Status, ob das jetzt immer gut ist oder nicht, steht nicht zur Diskussion – jedenfalls kann nicht jeder einen Bauantrag einreichen, aber alle lustig eine Datei in Druck geben. Also: Was wäre die Welt ohne Architektur? Der Blick auf unsere Städte, aufs Land, auf Industrie- oder Neubaugebiete lässt zweifeln. Warum fühlen wir uns in historischen Altstädten aber so wohl? Hier gab es sicher keinen Flächennutzungsplan, keine Bausatzung und keinen Bebauungsplan. Woher kommt der Charme? Warum wollen alle in Altbau-Wohnungen leben? Liegt es gar am Imperfekten, dem wir ansonsten überall versuchen, den Garaus zu machen? Sicherlich sind die Aufgaben heute komplexer, der Raum weniger, die Menschen mehr und ihre Wünsche erst recht.
Ob mit oder ohne Architekten und Designer auf der Welt – eines scheint es schon immer zu geben: ein Bedürfnis nach dem Schönen, dem Ästhetischen. Und dieses Bedürfnis gibt es vermutlich schon so lange wie die Menschen selbst. Das ist legitim, wichtig, ernstzunehmen – und für Gestalter eine Chance. Unser Büro hat kürzlich für das UNESCO-Weltkulturerbe »Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen« gearbeitet und für die verschiedenen Projekte und einzelnen Orte das Erscheinungsbild und die verschiedenen notwendigen Anwendungen erarbeitet. Da wurde nicht nur mir bei einer der zahlreichen Abbildungen von Funden aus der Bronzezeit wieder einmal bewusst, seit wann es bereits Gestaltung, also Design, gibt.
Da war eine ganz bestimmte Axt, ihre grundsätzliche Form ist wie bei praktisch allen aus dieser Zeit – und doch war sie entscheidend anders. Ihr Stil war verziert – und zwar wirklich großartig! Um das Holz war eine Birkenrinde angebracht, die ein feines geometrisches Muster mit zahllosen Ausstanzungen hatte. Die Verzierungen waren äußerst kleinteilig und schufen mit den zwei unterschiedlichen, kontrastierenden Ebenen, ja, man kann es kaum anders nennen, ein großartiges Design. Auch wenn man bezweifeln mag, dass diese Axt oft zum Baumfällen benutzt wurde – vermutlich wäre ihr Griff sogar funktional gewesen, da er rutschfester war. Irgendwie ja auch kein Wunder, dass man so ein »Werkzeug« in der Schweiz gefunden hat …
Bemerkenswert ist an der Bronzezeit auch, dass hier bereits die Spezialisierung Fahrt aufnahm. Eine Arbeitsteiligkeit entstand, man versuchte die Produktivität zu erhöhen. Die einen schmiedeten, die anderen töpferten. Und, überaus faszinierend, die verschiedenen Berufe und Tätigkeiten hatten schon einen unterschiedlichen Wert. Die Zeit des Töpferns war also nicht gleich bewertet wie die des Schmiedens. Spätestens dabei entsteht die Grundlage für Differenz, für Differenzierung – und folglich Distinktion. Pierre Bourdieu ist wahrlich relevant für uns alle; und das schon lange.
Jetzt kann man sich natürlich fragen, und da ist diese Axt wieder kein schlechtes Beispiel, welche Rolle hat Gestaltung eigentlich? Dient sie dazu, im Geiste von Werkbund und Bauhaus, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte, gute, also formal gute und auch funktional gute Dinge zu haben und sich leisten zu können? Oder geht es darum, eine fein abgestufte Form der Distinktion – einhergehend mit der entsprechenden Wertschöpfung – zu gestalten, die ja auch im Soziologischen ihre Bedeutung und Funktion hat, wie auch immer man sie aus anderer Perspektive beurteilen mag. Oder ist es an sich schon redlich, gut und sinnvoll, wenn etwas, das in die Welt kommen soll, zumindest auch gut aussieht (gut lesbar ist, leicht verstanden wird und so weiter). Also in diesem Sinne ist schöner ja bereits schon besser, aber, und dazu kommen wir noch: Besser ist schöner!