2. Berner Arbeitstreffen zur visuellen Rhetorik | Essay
Propaganda des Terrors – missbrauchte Rhetorik
Über ideologische Wirklichkeitswahrnehmung
Hannah Arendt kommentierte 1961 den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. Ihre Berichte veröffentlichte sie sodann in ihrem Buch »Eichmann in Jerusalem«, das den Untertitel die »Banalität des Bösen« [1] trug. Während des Prozesses hatte sich Eichmann stets darauf berufen, dass er nur ein Rädchen im Getriebe des Nationalsozialismus gewesen sei, Befehle von oben ausgeführt und gesetzestreu entsprechend den damaligen Umständen gehandelt habe. Er war der Buchhalter des Grauens und des Terrors, der Befehle ausführte, bei dem sich Grauen in Zahlen verwandelte, der sich keiner Schuld bewusst wurde und sich selbst hinter der Pflichterfüllung vorgegebener Ziele verbarg. Nun kann das Böse nie banal sein, es kann sich aber, und das ist wohl von Hannah Ahrendt gemeint, hinter der Maske des Selbstverständlichen und des als normal Empfundenen verbergen.
Wenn wir eine »Rhetorik« des Terrors untersuchen wollen, so darf sich diese nicht allein auf eine sprachliche Analyse beziehen, denn die äußeren Umstände prägen den semantischen Gehalt der Worte, prägen das Konnotat, das sich nicht vom Denotat trennen lässt, aber durch das äußere Aptum wesentlich bestimmt ist. Auch ist zu beachten, dass wir, ähnlich wie Manfred Fuhrmann zur nationalsozialistischen Propaganda bemerkte, wohl besser von »sogenannter Rhetorik«[2] sprechen sollten. Dolf Sternberger bemerkt in seinem »Wörterbuch des Unmenschen«: »Wörter sind nicht unschuldig, können es nicht sein, sondern die Schuld der Sprecher wächst der Sprache selber zu, fleischt sich ihr gleichsam ein.«[3] Terror und Grauen muss sich nicht in einer affektreichen Sprache ausdrücken, sondern kann sich sehr wohl hinter harmlosen, fast banalen erscheinenden Worten, ja auch hinter unverdächtigen Zahlen verbergen. Mittel der Affekterregung, des Ethos und des Pathos, aus emotional aufgeladenen Wörtern können sich mit einer scheinbar rationalen Argumentation verbinden.
Das Erfolgsrezept der nationalsozialistischen Propaganda lag nicht unwesentlich darin, dass gezielt auf eine ideologische Wirklichkeitswahrnehmung hingearbeitet wurde. Schon die Bezeichnungen »tausendjähriges« und »drittes« Reich implizieren chiliastische Erlösungsvorstellungen, die historisch zumindest bis zum wirkungsmächtigen Joachim di Fiore zurückzuführen sind. Wobei auch religiöse Implikationen wirksam werden, die sich auch in quasi liturgisch durchgeführten Propaganda-Veranstaltungen dokumentieren, beispielsweise in Goebbels bekannter Rede zum totalen Krieg.
Quasireligiöse Erlösungsvorstellungen vom tausendjährigen Reich zielen auf die Vernichtung der Bedrohung eines vermeintlichen Feindes, der zugleich für das Unheil in der Welt verantwortlich gemacht werden kann – in diesem Fall die unterstellte jüdische Weltverschwörung, auch unterstützt durch gefälschte Dokumente, wie die »Protokolle der Weisen von Zion«, die selbst heute noch in rechtsradikalen Kreisen, moslemischen Ländern und bei Verschwörungstheoretikern als echt angesehen werden, obwohl die Fälschung vielfach wissenschaftlich erwiesen ist.
Das so geschaffene Feindbild hat die Funktion der Identitätsstiftung, Solidarisierung, Emotionalisierung und Legitimation. Es führt wiederum zu einem dualistischen Weltbild, das streng zwischen Gut und Böse unterscheidet, dem »Wir« der Volksgenossen und dem außerhalb stehenden Feind, bei den Nazis auf der einen Seite dem Arier und auf der anderen dem rassisch angeblich Minderwertigen. Das »Wir« wird durch einen Bezugspunkt vertreten, im Nationalsozialimus durch den »Führer« und seine Entourage. Die durch diese vertretenen vermeintlich höheren Werte der Volksgemeinschaft versetzen die Einzelnen in ein Anweisungen und Befehle zu deren Durchsetzung vollziehendes Glied der Gemeinschaft, das den vermeintlichen Feind ausgrenzt und entmenschlicht. Selbst barbarische Akte an den Ausgegrenzten lassen sich so auf Zahlen reduzieren, wobei, wie es Horkheimer und Adorno in ihrer »Dialektik der Aufklärung«[4] konstatierten, vermeintliche Rationalität in Irrationalität umschlägt. Erst vor diesem Hintergrund, den Gegebenheiten des »äußeren Aptum«, kann eine Sprache des Unmenschen zur Wirkung gelangen.
Wenn aktuell von Terror gesprochen wird, so ist damit zumeist der islamische oder islamistische Terror gemeint. Wir denken an die fürchterlichen Morde, Exekutionen, die leidenden Vergewaltigungsopfer, an unmenschliche Selbstdarsteller, die zwischen abgeschnitten Köpfen posieren und die uns diese Bilder der Barbarei nebst zynischen Bemerkungen noch demonstrativ im Internet präsentieren. Wie kann es sein, dass diese schrecklichen Bilder und Aufrufe Gehör finden, dass junge Menschen aufbrechen, der Zivilisation entfliehen, um sich in Kriegsgebieten jenen Barbaren anzuschließen und es ihnen gleich zu tun? Wie entsteht die Wirkung der Worte und Bilder des Terrors?
- [1] Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München, Zürich 1986. (Erweiterte Taschenbuchauflage; 1. Auflage 1964)
- [2] Fuhrmann, Manfred: Rhetorik und öffentliche Rede. Über die Ursachen des Verfalls der Rhetorik im ausgehenden 18. Jahrhundert, Konstanz 1983. S. 24.
- [3] Sternberger, Dolf; Storz, Gerhard; Süskind, Wilhelm E.: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Neue, erweiterte Ausgabe mit Zeugnissen des Streites über die Sprachkritik. Hamburg, Düsseldorf 1968. S. 12.
- [4] Horkheimer, Max, Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophie Fragmente. Frankfurt am Main 1978 (46.—50 Tsd.).