Mythen des Alltags
Das Fitnessstudio
Glücklichsein im Abo
Treten Sie ein und machen Sie etwas aus sich! Die mit Ledersesseln eingerichtete Sky-Bundeliga-Ecke ziert den Eingangsbereich ebenso wie das gebleachte Lächeln des sonnengebräunten Personals. Nur demjenigen, der seine Membership Card dabei hat, wird Eintritt gewährt. Er begibt sich in fachmännische Hände. Um den Kopf nach der stressigen Arbeit im Office frei zu bekommen, lässt er sich nun als Ausgleich zur körperlichen Aktivität drillen. Stressabbau bis der Schweiß tropft.
Das Handtuch aus der Flatrate mitnehmen, ein ionisiertes Sportgetränk holen, Umkleide- und Wellnessbereich passieren. Neben der Vormittagszeit, die hauptsächlich von Senioren, Studenten oder Muttis übernommen wird, ist die After-Work-Phase beliebte Trainingszeit der Sport-Oase. Voll besetzte Geräte: Spinningräder surren, Gewichte knallen, Füße donnern auf Laufbändern. Viele feuchte Hände greifen mit der Hantel nach ihrem Ideal und nach dem, was das Probe-Abo oder die goldene Mitgliedschaft versprechen. Fit und gesund sein, das sind nicht nur die Gym-Tugenden der heutigen Zeit. Auch Aristoteles hat sich in seinem Werk die »Nikomachische Ethik« [1] mit der Frage nach der bestmöglichen individuellen und kollektiven Lebensführung auseinandergesetzt. Das schloss schon damals das körperliche und das geistige Wohlbefinden durch sportliche Aktivität ein. Das wurde wiederentdeckt und weitergetragen von den Philosophen der Renaissance durch den »uomo universale« [2], der das Idealbild des damaligen Menschen verkörperte, bis hin zu den Studien des 19. Jahrhunderts.
Gymnastik wurde zu der Zeit für medizinische und erzieherische Zwecke genutzt, aber auch zur Stärkung des Verteidigungspotenzials praktiziert. Die sportliche Bewegung wandelte sich bald zu einem militärischen Wettbewerb. Das alles mündet in die heutige Zeit, in der die Gesundheits- und Fitnessrevolution ihren bisherigen Höhepunkt nimmt. Angemessene Ernährung, Sport und Balance sind die Grundlage eines gesunden Lebens – predigt jedenfalls die Gesundheitsindustrie.
Das allseits beliebte Fitnesscenter ist heute der fleischgewordene Traum aller Eiweißprinzessinnen und Muskelprotze, der Traum manifestiert sich in einem achtwöchigen Trainingsplan. Ausgerüstet mit dynamischer Activewear in knalligen Neonfarben wird der hochindividualisierte Trainingsplan Station für Station und Gerät für Gerät abgearbeitet. Mehr Gewicht, mehr Wiederholungen. Zwischen den Sätzen setzt man sich zueinander und pflegt das Netzwerk. Denn der soziale Austausch, das Kommunizieren mit Gleichgesinnten und auch das Posieren vor Publikum, ist neben der sportlichen Aktivität ein weiterer Nutzen der Körperformfabrik. Ausdauer- und Krafttraining sind Vorwand und auch Mittel zum Zweck. Vordergründig mögen die abgebauten Kalorien und die aufgebaute Muskelmasse zählen. Dahinter steckt das Rundumpaket des vermeintlich glücklichen Lebens.
Denn das Mitglied braucht den Zauber der angeleiteten Stoffwechselkuren, um sich auf der sicheren Seite zu wähnen. Anamnese mit Bodymessungen, Körperfettanalyse, Cardioscan. Mit diesem umfangreichen Angebot gelangt der Nutzer zu seinem Traumkörper sowie zu mehr Energie, Lebensfreude, Wohlbefinden und natürlich zu einem gestärkten Immunsystem. Und während im Hintergrund das Geschnaufe und Gestöhne aus der Eisenhölle vordringt, kann er sich selbst im raumumfassenden Wandspiegel begutachten und mehr oder minder heimlich schon mal den Umfang des Bizeps oder des Quadrizeps überprüfen.
Vierzehn, fünfzehn, dritter Satz und Rotation beendet. Zum Ausklang das Kursangebot im Studio prüfen. Da ist mit 100 Aktivitäten in der Woche für jedes noch so individuelle Bedürfnis das Richtige dabei. Hot Yoga, Best Age, Body Combat, Deepwork oder Dance Workout, autogenes Training, Fatburner und Tabata. An für sich egal – denn wenn man doch nicht genau weiß, was sich im Einzelnen hinter diesen anregenden Wortschöpfungen verbirgt, so ist ganz bestimmt klar: Diese Kurse werden den Teilnehmer motivieren, herausfordern und quälen und seinen Körper dadurch form-ästhetisch vollenden. Darauf kommt es schließlich an.
Freigesetzte Glückshormone und Muskelschmerz sind die Belohnung eines Trainings. Die kostet der Sportbegeisterte zusammen mit dem Fair-Trade-Kaffee, dem Vanille-Chiasamen-Gojibeeren-Vital-Proteinshake oder dem Basen-Flammkuchen vollends aus. Dem Traumkörper wieder ein Stück näher, verlässt er dann die Muckibude, wirft die schweißgetränkten Handtücher zurück in das Sammelbehältnis und macht sich davon.