Buchbesprechung
»Merkwürdig und zugleich wundervoll«
Stephen Fry erzählt griechische Mythen neu
Am Anfang war das Chaos – doch dann kam Stephen Fry und räumte auf. Wie kam das Leid in die Welt? Und wieso konnte Hera die Göttin Athene nie so richtig leiden? Stephen Fry tischt in seinem neuesten Buch »Mythos. Was uns die Götter heute sagen« (Originaltitel: Mythos. A Retelling of the Myths of Ancient Greece) all die komplexen Erzählungen rund um die griechischen Götter auf. Das Buch erschien 2018 im Aufbau-Verlag, Berlin.
»Der Anfang ist genau der Punkt, an dem ich anfangen sollte« (S.134). Auf knapp 450 Seiten wird auch ein Leser ohne spezifisches Vorwissen begeistert in die Welt der Götter getragen. Stephen Fry erzählt ausgewählte griechische Mythen auf äußerst unterhaltsame, humorvolle und lebendige Art. Mit Witz und Einfühlungsvermögen haucht er den angestaubten, in Vergessenheit geratenen Geschichten und ihren Protagonisten Leben ein – ähnlich wie es Athene bei der Schöpfung des anthropos tat. Er lässt sie tatsächlich »zu Wort kommen« und die Bilder zu den Erzählungen ploppen im Geiste beinahe unvermeidbar auf. Man sieht regelrecht den gerade geborenen Hermes durch die Höhle hüpfen und kieksen: »Diese knallenge, kleine Kammer verursacht mir kolossale Klaustrophobie« (S.118) – eine astreine Alliteration.
Fry kommentiert einige Passagen seiner Erzählung in zahlreichen Fußnoten mit teils persönlichen, teils trockenen, teils weiterführenden informativen Einschüben. Dabei gerät der Lesefluss jedoch nie ins Stocken. Vielmehr beherrscht Fry die Kunst, den Text durch diese Einschübe noch lebendiger und dadurch einprägsamer zu gestalten. Die zunehmend komplexeren Verwandtschaftsverhältnisse sind, soweit es überhaupt möglich ist, immer wieder erläutert, und so gewinnt man als Leser einen gewissen Überblick des Geschehens.
Ein spannender Teil von Frys Arbeit ist seine im Untertitel des Buches versprochene Leistung, die Geschichten in unser Heute zu transportieren. Was hat es mit diesem seltsamen, von Schlangen umwundenen Stab auf sich, den wir alle von Krankenwagen kennen? Welchen Ursprung haben unsere heutigen Wörter Elektrizität und Elektron? Doch die Mythen können mehr, als etymologische Zusammenhänge auffächern. Ihnen allen liegt ein tief demokratisches Verständnis zugrunde, ein Gefühl der Gemeinsamkeit und der Verbundenheit mit diesen so menschlichen Göttern, deren Erlebnisse wir so gut unseren menschlichen Erfahrungen beimessen können. In ihren jahrtausendelangen Entstehungsprozessen sind diese, anfangs nur mündlichen, Erzählungen absolut auf den Punkt gebracht. Nur die besten und einprägsamsten haben es bis in unsere Zeit geschafft und sind so als eine Art geschliffener Diamant einer rhetorischen Kultur anzusehen. Der Mythos, als ein ideenreiches und symbolisches Konstrukt liefert in seinen menschlichen Aspekten auch heute noch Aktualität und Inspiration – auch das zeigt Frys Buch.
Schade ist eigentlich nur, dass das Buch dann doch irgendwann endet. Was ausbleibt, ist zum Beispiel Stephen Frys Erzählung zur Odyssee oder der im Text sogar schon angedeutete Kampf um Troja. Aber wer weiß, vielleicht darf man auf einen weiteren Wälzer voll von belustigenden, erhellenden und grausamen Mythen der griechischen Welt hoffen. Erschöpft ist das Thema jedenfalls noch nicht, und ein solches Chaos braucht schließlich immer jemanden, der es aufzuräumen weiß.