In ihr wird die Gesamtheit aller sinnlich-anschaulichen Gegebenheiten einer Gesellschaft auf den Punkt gebracht. Denn der Redner, der diese Kollektiverfahrung in seinem eigenen Ethos zur Geltung zu bringen vermag, besitzt schon für Aristoteles einen kaum noch einholbaren Vorteil. Die in diesem Sinne (nämlich Sitten, Gebräuche, moralische und ästhetische Wertvorstellungen, emotionale Gewissheiten und Trieborientierung umfassende) ethische Überzeugungskraft ist deshalb so stark, weil ihr Substrat, die Ethos-Einstellungen, der ständigen Kontrolle der Menschen unterliegt, die sie in ihrer Erfahrung prüfen, sodass ihnen eine intersubjektive Garantie zugemessen werden kann. Die Beredsamkeit der Formen entwickelt spätestens in dieser Hinsicht identitätsstiftende Wirksamkeit, deren Macht gerade darin liegt, dass sie vorbegrifflich sind und in der sinnlich-anschaulichen Gestalt ein Maximum an Wirkung entfalten.
7. Wurden bisher Bild und Figur ihrer Überzeugungsfunktion nach bedacht, so enthalten die sich aus den Änderungskategorien ergebenden Figurationsklassen noch mehr: nämlich Produktionsmethoden des Neuen. Die Abweichung betrifft nicht nur die Sache selber und ihre Bestimmung (als Kochlöffel oder Ohrring zu fungieren), sondern ist auch eine Abweichung von der kollektiven psychischen Realität, von dem, wie man sagen könnte, im kulturellen Formenuniversum einer Gesellschaft reflektierten »Gemeinsinn« (sensus communis). Dieser ist ein für die Rhetorik zentraler und signifikanter Begriff, der das sinnlich-anschauliche Wesen des von ihm Gemeinten ausdrücklich mit einschließt. Deviation ist dafür eine unzureichende Bezeichnung, weil sie zugleich den Weg des Üblichen, Gewohnten als Hauptweg suggeriert.
Dabei eröffnet gerade für die Produktion das Hinwegführende, ja sogar die Umkehr den Königsweg: nur wenn man ihm folgt, wird das Abgedroschene, das Klischee vermieden. Eine Erkenntnis, die den antiken Rhetorikern durchaus geläufig war. So auch Cicero: »Denn es ist schwer, den Grund anzugeben, warum wir gerade gegen diejenigen Dinge, die unsere Sinne am meisten entzücken … durch Ekel und Überdruss am schnellsten eine Abneigung empfinden.«[5] Das Bild nimmt den Raum ein, und seine stete Präsenz vermindert schließlich die Empfindung, stumpft ab, wie man sagt, während die Rede als ein in der Zeit sich entfaltendes Kunstwerk gegen diese Art des Wirkungsverlusts besser geschützt ist.
Derart Abweichendes stiftet schon der Vergleich, also etwa (um wieder ein Bauhaus-Beispiel zu bemühen) jener einer Teetasse mit einer Kugel oder aber des Autohecks mit einem Hüftschwung. Allegorische, metonymische, metaphorische Verfahren gehören, auch wenn sie als solche nicht bewusst werden, zum Alltag des Modedesigners, sodass ein Jagdrock zum Abendanzug mutiert, eine Bondage-Reminiszenz in der ledernen Verschnürung einer Sandale aufscheint. Die populäre Werbemaxime »Sex sells« hat solcherart äußerst wirkungsvolle Figuren hervorgebracht, metaphorisch in Entstehung und Wirkung. Das Übertragen von Bedeutungen darf dabei nie unverständlich werden, also nicht zu stark vom »Hauptweg« der Vorstellungen und Figuren abweichen, die aus der Kooperation der Vielen entstanden sind.