Buchbesprechung

Computerspiele – die Flegeljahre einer jungen Kunstform

Björn Blankenheim untersucht das Game Design

Eine Rezension von Maximilian Maria Kaufmann


Wer an den Begriff »Kunst« denkt, der asso­zi­iert damit mit hoher Wahr­schein­lich­keit die Male­rei, Bild­haue­rei, Lite­ra­tur, Musik oder auch Film. An Com­pu­ter­spie­le denkt ver­mut­lich nicht jeder als Ers­tes. Von man­chen noch immer als recht sinn­lo­ser Zeit­ver­treib belä­chelt, waren Com­pu­ter­spie­le nicht immer der gigan­ti­sche Sek­tor auf dem Enter­tain­ment-Markt, der sie heu­te sind. Die ers­ten Jahr­zehn­te der gera­de ent­stan­de­nen Bran­che waren geprägt von wage­mu­ti­gen Kon­zep­ten, Rück­schlä­gen und Neu­an­fän­gen. Gen­res bil­de­ten sich nach und nach her­aus, von denen es eini­ge bereits seit gut 30 Jah­ren prak­tisch nicht mehr gibt. Die Macher und Ver­le­ger der Spie­le stell­ten sich schon früh die Fra­ge, wodurch ihre Tätig­keit eigent­lich genau zu defi­nie­ren sei, wel­che Ansprü­che und wel­ches Selbst­ver­ständ­nis die Bran­che für sich selbst fin­den soll­te. Dabei griff man nicht nur wie­der­holt auf die his­to­ri­sche Ent­wick­lung der Kunst­form Film zurück, son­dern schloss auch an his­to­ri­sche Kunst­li­te­ra­tur – ins­be­son­de­re der Anti­ke und der Renais­sance – an.

In sei­nem Buch »Die Kunst des Com­pu­ter Game Design. Zur Pro­duk­ti­ons­äs­the­tik von Com­pu­ter­spie­len (1982—1996) im Spie­gel der his­to­ri­schen Kunst­li­te­ra­tur« befasst sich Björn Blan­ken­heim mit die­ser höchst frucht­ba­ren und fas­zi­nie­ren­den Pha­se der Com­pu­ter­spiel­ge­schich­te. Der Autor legt zunächst auf über­zeu­gen­de Wei­se offen, wodurch gera­de der gewähl­te Zeit­rah­men für den Unter­su­chungs­ge­gen­stand so bedeut­sam ist, ehe er aus­führ­lich auf die Geschich­te der Selbst­theo­re­ti­sie­rung in der Kunst ein­geht, wobei ins­be­son­de­re dem téchnē-Begriff eine gro­ße Rol­le zuteil­wird. Der téchnē-Begriff ist es auch, der den Bogen zum Com­pu­ter­spiel spannt, denn die Her­aus­ar­bei­tung einer theo­re­ti­schen Grund­la­ge des Game Design und damit ein­her­ge­hen­de Fra­gen nach der Defi­ni­ti­on des eige­nen Tuns eröff­ne­te in der jun­gen Bran­che ab den 1980ern einen leb­haf­ten Diskurs.

Blan­ken­heim zeich­net dar­an anschlie­ßend im Haupt­teil sei­ner Arbeit nach, wie die Bran­che ab Anfang der 1980er Jah­re ein eige­nes Kunst­ver­ständ­nis zu ent­wi­ckeln such­te und sich mit der Fra­ge aus­ein­an­der­set­ze, wie »ech­te Kunst« durch Com­pu­ter­spie­le ent­ste­hen kön­ne. Hier wer­den auch eini­ge der bedeu­tends­ten Prot­ago­nis­ten in Blan­ken­heims Unter­su­chung ein­ge­führt, allen vor­an Chris Craw­ford, Grün­der der Game Deve­lo­pers Con­fe­rence und Autor des weg­wei­sen­den Buches The Art of Com­pu­ter Game Design. Der star­ke Fokus auf Craw­ford mag zunächst ver­wun­dern, da die­ser sich bereits rela­tiv früh (1991) weit­ge­hend vom akti­ven Game Design ver­ab­schie­de­te und fort­an eher als Kolum­nist und auf Kon­fe­ren­zen in Erschei­nung trat. Blan­ken­heim arbei­tet jedoch über­zeu­gend her­aus, wes­halb Craw­fords Stim­me für die Com­pu­ter­spiel­bran­che wäh­rend des Unter­su­chungs­zeit­raums von solch gro­ßer Bedeu­tung war. Den oft bemüh­ten Ver­glei­chen von Com­pu­ter­spie­len zu ande­ren Medi­en wird ein gan­zes Kapi­tel gewid­met, in dem der Autor anhand ent­spre­chen­der Unter­ka­pi­tel für jedes Medi­um – Lite­ra­tur, Kino, Thea­ter – dar­legt, wie eini­ge Spie­le­ent­wick­ler ihre eige­nen künst­le­ri­schen Ein­flüs­se in die neue Kunst­form zu über­set­zen such­ten, ande­re hin­ge­gen sich klar davon distan­zier­ten, ein­fach nur inter­ak­ti­ve Varia­tio­nen bereits exis­tie­ren­der Medi­en zu ent­wi­ckeln. Die­ses über­aus inter­es­san­te Kapi­tel ist ver­hält­nis­mä­ßig kurz, dafür gerät der Teil zur Ent­wick­lung der Rol­le und des Selbst­ver­ständ­nis­ses von Game Desi­gnern zum umfang­reichs­ten der Arbeit, der sich manch­mal etwas in Details zu ver­lie­ren droht. Fra­gen nach Wesen und Eigen­schaf­ten des Com­pu­ter­spiels, sei­ner Gat­tun­gen, sei­ner Geschichts­schrei­bung und (in den 90ern unge­wis­sen) Zukunft been­den schließ­lich den Haupt­teil von Blan­ken­heims Arbeit. Im Abschluss­ka­pi­tel legt der Autor dann auf höchst span­nen­de Wei­se dar, wie sei­tens ande­rer Dis­zi­pli­nen ver­sucht wur­de, Com­pu­ter­spie­le für sich zu ver­ein­nah­men und wes­halb all die­se Ver­su­che dem neu­en Medi­um nicht gerecht wer­den konn­ten. Auch die­ser Teil hät­te ger­ne noch etwas aus­führ­li­cher behan­delt wer­den können.

Blan­ken­heims Mono­gra­phie erweist sich ins­ge­samt als ein mög­li­cher »Game­ch­an­ger« in der Geschichts­schrei­bung des Game Design und des die­sem zugrun­de lie­gen­den, lan­ge dis­ku­tier­ten Kunst­ver­ständ­nis­ses der Bran­che. Wie der Autor wie­der­holt deut­lich macht, man­gelt es sämt­li­chen in Fra­ge kom­men­den Dis­zi­pli­nen an wirk­lich umfas­sen­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit zen­tra­len Aspek­ten des Game Design – gleich, ob es um die Selbst­theo­re­ti­sie­rung oder kon­kre­te prak­ti­sche Fra­gen der Pro­duk­ti­on geht. Blan­ken­heims Arbeit lie­fert hier eine bedeu­ten­de, gründ­lich recher­chier­te und über­zeu­gend argu­men­tier­te Grund­la­ge für eine wei­ter­füh­ren­de Aus­ein­an­der­set­zung mit einem hoch­kom­ple­xen und viel­schich­ti­gen Unter­su­chungs­ge­gen­stand. Dass man­che inter­es­san­ten Punk­te etwas knapp behan­delt wur­den, schmä­lert den Gesamt­ein­druck dabei nicht, kann der Bei­trag der Arbeit zur Erschlie­ßung des Gegen­stan­des schließ­lich nicht hoch genug ein­ge­schätzt wer­den. Soll­te immer noch jemand der Ansicht sein, Com­pu­ter­spie­le bedür­fen kei­ner ernst­haf­ten wis­sen­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung – hier wird er zwei­fel­los eines Bes­se­ren belehrt.