2.2 Identifizierung

Eng mit dem gera­de ange­führ­ten inter­pre­ta­ti­ven Topos hän­gen die iden­ti­fi­zie­ren­den Topoi zusam­men. Die sprach­li­che Bot­schaft dient, wie gesagt, dem erleich­ter­ten und damit nicht zuletzt auch dem beschleu­nig­ten Ver­ste­hen der Wer­be­bot­schaft. Von der Inter­pre­ta­ti­on des Gesamt­bil­des kann aller­dings die Iden­ti­fi­zie­rung unter­schie­den wer­den. Dies lässt sich an die­sem Pla­kat erläu­tern (Abb. 7):

Abbil­dun­g 7

Abbil­dun­g 7

»Kleid« »49,90«: Das ist die sprach­li­che Bot­schaft. Wel­chen Zweck hat sie? Sie soll in das Bild eine Figur-Grund-Dif­fe­ren­zie­rung[3] ein­füh­ren, die es ermög­licht, das Augen­merk auf einen Teil des Gezeig­ten zu legen und den Rest als rhe­to­ri­schen Schmuck zu betrach­ten. In die­sem Fal­le wird das Kleid bewor­ben, nicht die Frau, nicht ihre Haa­re, nur das Kleid. Die sprach­li­che Bot­schaft inter­pre­tiert die­ses Bild als ein Kleid-Bild, nicht als ein Frau-Bild oder als ein Haar-Bild. Eine sol­che inter­pre­ta­ti­ve Leis­tung, die eine Figur-Grund-Dif­fe­ren­zie­rung in das Bild ein­führt, kön­nen wir eine Iden­ti­fi­zie­rung nen­nen. In ihrer Wir­kung spielt die Kom­bi­na­ti­on von Iden­ti­fi­zie­rung und Foto­gra­fie eine beson­de­re Rol­le, da sie, wie es Roland Bar­thes tref­fend beschreibt, natu­ra­li­sie­rend wirkt. Die Schrift pro­fi­tiert von der »Unschuld des Bil­des« und wird selbst »unschul­dig«.[4] Es scheint fast so, als hebe die Schrift nur etwas her­vor, was ohne­hin im Mit­tel­punkt der Betrach­tung liegt, als kön­ne hier gar nicht von einem rhe­to­risch gewoll­ten Ein­griff gespro­chen wer­den. In einem Kleid-Bild »Kleid« zu sagen, ist doch das natür­lichs­te der Welt. Das ist es, was Bar­thes mit »Unschuld« meint. Aber eben die­se Unschuld ist rhe­to­risch nutz­bar. Deut­lich wird dies, wenn man das Pla­kat per­ver­tiert, wie in die­sem Adbust (Abb. 8):

Abbil­dun­g 8

Abbil­dun­g 8

Anstel­le von »Kleid« oder einem ande­ren Klei­dungs­stück besteht die sprach­li­che Bot­schaft hier aus »Body« »39,7 kg«. Was ehe­dem Grund war und als rhe­to­ri­scher Schmuck die eigent­li­che Ware zie­ren soll­te, tritt hier in den Vor­der­grund, wird Figur. Dies ist kein Kleid-Bild mehr, es ist ein Frau-Bild, genau­er ist es ein Mage­re-Frau-Bild. Zugleich bleibt es durch den Topos der Iden­ti­fi­zie­rung in sei­ner inter­pre­ta­ti­ven Leis­tun­gen eben­so »unschul­dig« wie das Kleid-Bild von gera­de eben. Als gleich­sam päd­ago­gi­sche Rand­no­tiz kann man also von Adbusts mit­un­ter eine Ent­hül­lung rhe­to­ri­scher Topoi erwar­ten. Sie nut­zen nicht nur Topoi, sie machen sie auch sicht­bar. Es ist dies ein Spiel von Simu­la­ti­on und Dis­si­mu­la­ti­on, das wir anhand von Adbusts tat­säch­lich anschau­lich ler­nen können.

2.3 Bildrhetorische Induktion

Um zu erklä­ren, was mit »bild­rhe­to­ri­schen Induk­ti­on« gemeint ist, bedarf es eines klei­nen Theo­rie­ex­kur­ses.[5]


 
Jedes gegen­ständ­li­che Bild zeigt uns etwas. Es zeigt uns außer­dem, wie es die­ses Etwas zeigt. Wir kön­nen also den Gegen­stand der Dar­stel­lung von der Dar­stel­lungs­art unter­schei­den. Auf die­sem Unter­schied beruht das, was Lam­bert Wie­sing die Rhe­to­rik des Bil­des nennt. Eine rhe­to­ri­sche Ver­wen­dung von Bil­dern kann die­ser Unter­schei­dung fol­gend sich zum einen auf die dar­ge­stell­te Sache, zum ande­ren aber auch auf die Dar­stel­lungs­art bezie­hen. Die eben bespro­che­nen Topoi – Iden­ti­fi­ka­ti­on und Inter­pre­ta­ti­on – bezie­hen sich auf den ers­ten Bereich und füh­ren Bil­der als Zeu­gen oder ästhe­ti­schen Kon­text in die ansons­ten sprach­lich ver­mit­tel­te Argu­men­ta­ti­on ein. Beschränkt man sich auf die­sen Bereich, so wird ver­ständ­lich, war­um dem Bild eine von sprach­li­cher Ver­mitt­lung unab­hän­gi­ge, argu­men­ta­ti­ve Kraft oft­mals abge­spro­chen wird. Aber was heißt es, in einem Bild die bild­li­chen Eigen­schaf­ten rhe­to­risch zur Wir­kung zu brin­gen? Ver­steht man Rhe­to­rik als die Kunst zur Erzeu­gung einer prin­zi­pi­el­len Ein­stel­lung gegen­über dem Gegen­stand einer Dar­stel­lung, so hat es die Rhe­to­rik stets mit einem Per­spek­tiv­wech­sel zu tun, der aus der Dar­stel­lungs­art eine Dar­stel­lungs­wei­se, eine Sicht­wei­se zu machen versucht.