Übertragen auf Bilder bedeutet dies: »Wer mit einem Bild eine menschliche Sichtweise auf die Welt zeigen will, verlangt vom Betrachter immer den nicht legitimen Sprung vom Konkreten ins Allgemeine, von der Art zur Weise – und das geht nur rhetorisch.«[6] Dieser Sprung vom Konkreten ins Allgemeine kann als Induktion bezeichnet werden.
Es bedarf einiger Transformationen um diesen rhetorischen Prozess deutlich zu machen, die bildrhetorische Induktion kann hier nur verkürzt dargestellt werden[7]:
Aufgrund eines Tatsachenbefundes wird eine allgemeine Regel wahrscheinlich gemacht. Gelingt dieser induktive Schritt, so kann die damit wahrscheinliche Regel übertragen werden auf eine Vielzahl anderer, in ihrer Bewertung noch offener Tatsachen. Innerhalb dieses Zweischrittes kann von einer Autonomie – wie sie Wiesing behauptet – während des induktiven Schrittes nicht gesprochen werden. Vielmehr muss die gegebene Tatsache der rhetorischen Kategorie der Angemessenheit entsprechen, um eine solche Übertragung zu ermöglichen. Erst im zweiten, vermeintlich deduktiven Schritt kann die Sichtweise autonom über die Darstellung werden, erst also, wenn der Köder bereits geschluckt ist.
Was bedeutet dies für die Topoi des Adbusts? Die Strategien ergeben sich stets nur da, wo das bloß Wahrscheinliche eben auch anders sein könnte – genau das ist schließlich das rhetorische Feld. Folglich ergeben sich zwei Stellen, an denen die bildrhetorische Induktion unterbrochen werden kann:
Zum einen kann versucht werden, die durch das Beispiel gestützte allgemeine Regel zu manipulieren, also die Sichtweise so zu verdrehen, dass die Übertragung auf andere Gegenstände beeinflusst wird. Zum anderen könnte auch der Wahrscheinlichkeitsschluss als ein solcher aufgedeckt werden. Diesen als Wahrscheinlichkeitsschluss offenzulegen, heißt dann soviel, wie zu zeigen, dass die Konklusion falsch ist, obwohl die Prämissen als wahr anerkannt werden. Insofern es Adbusts jedoch im Allgemeinen nicht um eine Widerlegung geht, sondern um eine Modifikation, wird dieses zweite Verfahren kaum Anwendung finden. Für das erste aber scheint folgendes Beispiel anschaulich (Abb. 9):
Abbildung 9
Bei diesem Werbeplakat für ein iPad handelt es sich um ein Bild, das uns eine bildliche Sichtweise zeigt. Der Betrachter schaut quasi durch die Augen des dargestellten Mannes auf dem Plakat. Folglich sieht der Betrachter nur genau das, was er sehen würde, läge er selbst auf einem Liegestuhl und würde an sich herunterschauen. Mit Wiesing kann darin eine Sichtweise ausgemacht werden, denn dieses Werbeplakat wirkt der Tatsache entgegen, dass der »Sehende sieht, was er sieht, aber nicht, wie er sieht – es sei denn, man verwendet ein Bild als ein Erkenntnisinstrument zur Erforschung dessen, wie sich die Anschauung in ihrer Verfassung und Infrastruktur verändert.«[8]
Der nicht legitime Sprung vom Konkreten ins Allgemeine soll nun darin geleistet werden, dass vom konkret dargestellten Mann abgesehen wird, die Sichtweise autonom wird, und nun jeder Betrachter den zweiten Schritt vollziehen kann und sich selbst an die Stelle des dargestellten Mannes zu setzen in der Lage ist – und gleich diesem das iPad fokussieren kann und soll.
Die Intervention der Adbuster (Abb. 10. Detail: Abb. 3) besteht in diesem Fall darin, dass die Icons auf dem dargestellten Display des iPads ausgetauscht wurden.
Abbildung 10
Abbildung 3
Vorher befanden sich darauf die Gemeinplätze des Jedermann – Urlaub, Familie, Arbeit –, nun ausschließlich Frauen und Sexualpraktiken. Die Übertragung glückt in Folge dessen nur noch in dem Fall, als sich der Betrachter als »manisch sexuell« versteht. Die konkrete Darstellung lässt für die meisten Betrachter nur einen veränderten Schluss auf eine Sichtweise zu, weil die ursprünglich als Ornatus gedachten Icons auf dem Display den induktiven Sprung vom Konkreten ins Allgemeine manipulieren. Die vom Werbetreibenden angestrengte bildrhetorische Induktion kann folglich gebrochen werden.