2.4 Komposition und Rahmung
Wo kein Rahmen ist, ist auch keine Komposition möglich. Denn Komposition meint die Anordnung von Farben und Formen in einem begrenzten Raum. Schwitters Collagen sind Kompositionen, klassische Kunstwerke sind Kompositionen, Werbeplakate sind Kompositionen. Was aber passiert, wenn etwas, das ehedem Komposition war, durch eine Intervention aus dem Rahmen fällt? Und was bedeutet dies rhetorisch? Im Rahmen dieses Essays soll diese Fragen nicht systematisiert, sondern die ungeheure Bedeutung des Rahmens nur angedeutet und dabei zu bedenken gegeben werden, inwiefern die Überwindung des Rahmens neue Formen der Interaktion zulässt.
Etwa die Interaktion mit der urbanen Umwelt durch Architektur und urbane Codes – das ist der systematische Ort der Street-Art (Abb. 11).
Abbildung 11
Abbildung 12
Sodann die Interaktion mit der virtuellen Umwelt durch QR-Codes (Abb. 12) oder auch die rekursive Interaktion mit sich selbst durch Bezüge zwischen Plakaten. Die Sprengung des Rahmens ist dabei stets ein Problem für Orientierungsprozesse, da Rahmung einen wesentlichen Teil der Orientierungsleistung dem Rezipienten abnimmt, nämlich die Strukturierung des kontingent Gegebenen in relevante Kontingenz.[9] Die hier nur kurz genannten Beispiele und theoretischen Anmerkungen machen bereits deutlich, dass aus dem Umfeld von Komposition und Rahmung nicht ein einzelner, spezifischer Topos abgeleitet werden kann, sondern sich hierin ein ganzer Hort möglicher inventiver Topoi finden lässt. Die Möglichkeiten zur Erzeugung von Desorientierungseffekten durch die Neuordnung von ehedem als »relevant« ausgezeichneten Bezügen sind immens. Für den Zweck dieses Essays, der eine erste Einordnung rhetorischer Topoi des Adbusts anstrebt, kann dieser Bereich nicht weiterverfolgt werden, er sollte Gegenstand einer eigenen Arbeit sein.
2.5 Die Doppelnatur des Markenzeichens
Das Markenzeichen erfüllt im Werbeplakat wichtige Funktionen. So dient es als Platzhalter, als Leerstelle für die Oratorfigur und erfüllt damit alle wesentlichen Aufgaben, die die klassische Rhetorik dem Ethos zubilligt. Das Ethoskonzept ist hier gekennzeichnet durch die Wechselwirkung des Ganzen mit der Marke und der Marke mit dem Ganzen. Die Möglichkeit einer solchen Wechselwirkung verdankt das Markenzeichen den typografischen Bemühungen um klare Identifizierbarkeit bei gleichzeitiger Mehrdeutigkeit. In den Worten Peter Zecs: Das wesentliche der Marke »besteht nämlich darin, dass die Marke immer sowohl durch Mehrdeutigkeit als auch durch Selbstähnlichkeit gekennzeichnet sein muss, um Marke zu bleiben.«[10] Stellt die Mehrdeutigkeit der Marke das Identifikationspotential mit derselben dar, so bezeichnet die Selbstähnlichkeit die Wiedererkennbarkeit und damit die »eindeutige Identifizierbarkeit«.
Die Wechselwirkung zwischen Werbeganzem und Markenzeichen führt, in Anwendung auf Adbusts, zu den Topoi des typografischen Interpretationsrahmens und der werberhetorischen Konklusion.
2.5.1 Typografischer Interpretationsrahmen
Das Markenzeichen ist kein Bild, wird aber als bildliches Zeichen verwendet und zwar als ein solches, das nur auf sich selbst verweist. Innerhalb dieser zirkulären Bewegung auf sich selbst, wird das aufgebaut, was wir als »corporate identity« kennen – das Image des Werbetreibenden – verbürgt und gestalterisch umgesetzt im »corporate design«. Die rhetorische Funktion des Markenzeichens in der Bedeutungskonstitution des Werbeplakates besteht damit vor allem darin, einen inhaltlichen Rahmen für mögliche interpretative Zugänge zu liefern. Auf der Grundlage bereits vorhandener Vorstellungen über das Image des Werbetreibenden, dienen sie dem Rezipienten als Muster eines Interpretationsversuches, wobei das Ergebnis – die werberhetorische Konklusion, auf die ich noch eingehen werde – in diesen zirkulären Prozess integriert wird. Sichtbar wird die Funktion des typografischen Interpretationsrahmens abermals dann, wenn sie gebrochen wird. So beispielsweise wenn Markenzeichen auf Plakaten ausgetauscht werden und sich Effekte falscher Zitation einstellen. Etwa in der Weise, wie es unter anderem der Comedian Marc-Uwe Kling betreibt, wenn er den Satz aus der Hipp-Werbung »Dafür stehe ich mit meinem Namen« mit Karl-Theodor zu Guttenberg signiert. Dieses Spiel mit der auctoritas ist an die Möglichkeit geknüpft, möglichst heterogene Vorstellungen zusammenzubringen. Da die Bandbreite im Bereich der politischen auctoritas wesentlich breiter ist als im Bereich der Konsumwerbung, findet dieses Verfahren der Verfremdung auch fruchtbarer auf politischen Plakaten statt.