Buchbesprechung
»Das Schicksal (…) entscheidet sich in der Sprache«
Klaus Krippendorff wagt »Die semantische Wende«
Die Auseinandersetzung um eine umfassende Theorie des Designs kennzeichnete das Interesse von Klaus Krippendorff, dem weltweit angesehenen Kybernetiker und Kommunikationswissenschaftler mit einer Professur an der Annenberg School for Communication in den USA, bereits zu Zeiten als dieser noch Abschluss-Student an der Ulmer Hochschule in den 1960er Jahren war. In »Die semantische Wende«, dem zunächst 2006 auf Englisch, später auf Japanisch und Chinesisch und 2012 in deutscher Sprache im Birkhäuser Verlag erschienenen Kompendium hat Krippendorff seine Jahrzehnte langen theoretischen Bemühen zum Thema einer Designtheorie und Produktsemantik zusammengeführt. Die deutsche Übersetzung des 400 Seiten umfassenden Opus hat der Leser in erster Linie Ralf Michel zu verdanken, dem Herausgeber der Publikation in der von Michel konzipierten Reihe »Schriften zu Gestaltung«.
Was will »Die semantische Wende«? Hier ist der Titel Programm, denn das Buch will nichts Geringeres als eine grundlegende Veränderung in der Entwicklung des Designs initiieren – einen Paradigmenwechsel. Es will zu einer Umgestaltung ermutigen, indem es erstens durch das Aufzeigen der Grundkonzepte eines menschenbezogenen Designs die Grenzen des Designs neu bestimmt (Kapitel 2), indem es zweitens im Rahmen dieser Konzepte neue Ansätze zur Semantik von Artefakten bereitstellt (Kapitel 3—6) und indem es drittens kommunizierbare und anwendbare Methoden hierzu entwickelt. Letzter Aspekt mündet in einem undogmatischen Wissenschaftsentwurf für das Design und dessen verantwortungsorientierte und lebendige Diskurse (Kapitel 7). Die besondere Aufmerksamkeit gilt dabei immer den Begriffen Bedeutung und Menschenbezogenheit, das wechselseitige Verhältnis dieser Begriffe ist in dem folgenden, für das Buch zentralen Axiom begründet: »Menschen können die physikalischen Eigenschaften von Dingen weder sehen noch auf sie reagieren. Sie handeln stets in Übereinstimmung mit dem, was die Dinge für sie bedeuten.« (vgl. S. 75)
Im Folgenden werde ich die bereits erwähnten Kapitel (2—7) etwas näher beleuchten, sie bilden den Kern der Theorie für das Design, die man ob der mannigfaltigen Einbindung philosophischer Konzepte und Ideen, aber auch wegen der durchaus analytischen Struktur schon fast selbst als eine Philosophie des Designs bezeichnen könnte. Zunächst möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass das Werk aus insgesamt neun Kapiteln besteht und sowohl das erste als auch das achte und letzte Kapitel selbstverständlich nicht unwesentlich für ein allumfassendes Verstehen der Thematik sind. In diesen Abschnitten geht es zu einem großen Teil um in methodologischer Hinsicht notwendige Demarkationen und Distanzierungen wie etwa um die Loslösung von einer reinen industriellen, technologiegetriebenen Designdisziplin als Ausgangsbasis für die zentralen Erläuterungen zum human-centered design oder aber um die Differenzierung zwischen der semantischen Wende im Design und anderen teilweise damit in Verbindung gebrachten Disziplinen, allen voran etwa der Semiotik. Diese bleibt nach Krippendorff beispielsweise in einem epistemischen Dualismus gefangen, auf dessen Grundlage sie den Menschen in seiner Vielfalt als Gestalter seiner eigenen Welt nicht angemessen in den Blick bekommt. Kapitel neun schließt letztlich mit einer Rückkopplung an die Zeit der Ulmer Hochschule und fragt nach möglichen Wurzeln des vorgelegten Konzepts in den Ansätzen ihrer Hauptakteure.