Die Schließung: 1967/1968
Über die Schließung der HfG kursieren überwiegend Falschmeldungen. Selbst in verdienstvollen Publikationen werden Märchen verbreitet. Wider besseres Wissen wird der Mythos von der HfG aufrecht erhalten, die durch den Handstreich eines tumben baden-württembergischen Ministerpräsidenten niedergestreckt worden sei. Tatsächlich jedoch handelte es sich nicht um eine plötzliche Handlung eines einzelnen Mächtigen, sondern es war ein langjähriger und vielfach verschränkter Prozess, der zur Schließung der HfG führte. Überraschend daran ist, dass dieses Ergebnis keinesfalls den eigentlichen Absichten der meisten Beteiligten entsprach.
Äußerer Anlass der Schließung war fehlendes Geld. Dafür gab es zwei Gründe: Die Einnahmen gingen zurück und die Stiftung tat nichts dagegen, zumindest nichts Erfolgreiches. Eine Folge des programmatischen Wechsels der HfG 1962 («Design ist keine Wissenschaft und die HfG keine wissenschaftliche Hochschule») war, dass der Bund seine Zuschüsse streichen musste. Wegen der Kulturhoheit der Länder durfte der Bund die HfG nicht direkt unterstützen, er konnte nur finanzielle Mittel für Grundlagenforschung zur Verfügung stellen. Deshalb wurde das Ende der Forschungstätigkeit an der HfG schon 1964 mit der Ankündigung quittiert, dass die Bundeszuschüsse 1966 zum letzten Mal angewiesen würden. Die Stiftung reagierte darauf nur insofern, als sie den Kopf in den Sand steckte und auf eine Verstaatlichung der HfG hoffte. 1965 war die Lage bereits so desolat, dass es niemandem auffiel, dass die HfG in diesem Jahr 420.000 Mark mehr ausgab, als im Etat vorgesehen war.
1966 hob der Stuttgarter Landtag seine jährlichen Zuschüsse auf 900.000 Mark an, um die Lücke teilweise auszugleichen. Zugleich stellte das Parlament klar, dass die HfG keinesfalls verstaatlicht werden sollte. Wenn der Unterrichtsbetrieb auf solider Grundlage stehen sollte, benötigte die HfG aber mindestens 1,3 Mio. Mark pro Jahr. Dafür fehlten jedoch die Unterstützer in Politik und Wirtschaft. Es gab auch keine Akteure innerhalb der HfG mehr, deren Engagement mit dem vergleichbar gewesen wäre, welches zur Gründung der HfG geführt hatte: Die langjährigen Dozenten Hans Gugelot und Friedrich Vordemberge-Gildewart waren gestorben, Otl Aicher und Tomás Maldonado hatten die HfG verlassen, um sich auf neuen Feldern zu betätigen (Aicher: Gestaltungsbeauftragter der Olympischen Spiele in München 1972, Maldonado: Büro in Mailand und Lehre in Princeton).
Im Dezember 1967 war die drohende Insolvenz der Stiftung unübersehbar. Deshalb musste sie allen Angestellten zum 30. September 1968 kündigen. Andernfalls hätten sich die Mitglieder des Stiftungsrats persönlich für die finanziellen Folgen haftbar gemacht. Sie verbanden die Kündigung mit der unrealistischen Anregung, die HfG möge dadurch gerettet werden, dass sie mit der staatlichen Ingenieurschule Ulm fusioniert würde. Aus der Perspektive der HfG-Angehörigen war dieser Vorschlag eine unerträgliche Zumutung. Bewies er doch, dass die Stiftung mittlerweile nichts mehr von dem verstand, was die HfG auszeichnete: Inhaltlich, pädagogisch und weltanschaulich gab es nichts Verbindendes zwischen Ingenieuerschule und HfG.
In den Augen der HfG-Angehörigen bestand die einzige Legitimation der Stiftung darin, finanzielle Verhältnisse zu gewährleisten, die so solide waren, dass der Betrieb der HfG auch nur annähernd unter den Bedingungen möglich gewesen wäre, die allen Beteiligten – Spendern, Studenten, Dozenten, Politikern, Journalisten – versprochen worden waren. Wenn sie diese Aufgabe nicht meisterte, verlor sie ihre Existenzberechtigung. Deshalb lehnten sie jetzt den Anspruch der Stiftung ab, die Geschicke der HfG zu bestimmen und sie in Verhandlungen zu repräsentieren. Sie forderten, das Land möge die HfG »autonom« verstaatlichen. Sie träumten davon, dass der Staat sämtliche Rechnungen begleichen möge, aber dennoch auf jegliche Kontrolle oder Sanktion verzichtete. Die Landesregierung ging nicht darauf ein. Es war ja nicht einmal 18 Monate her, dass der Landtag gerade eine Verstaatlichung grundsätzlich ausgeschlossen hatte. Trotzig verkündete die HfG-Angehörigen daraufhin am 23. Februar 1968 die »Selbstauflösung«. Diese polemisch-pathetische Parole war auch ein Ergebnis der hitzigen Atmosphäre der 68er-Studentenunruhen. Es fehlte der gemeinsame Kommunikationsrahmen für eine konstruktive, lösungsorientierte Zusammenarbeit. So steckte die HfG im Frühjahr 1968 in einer Sackgasse. Es gab kein integrierendes Energiezentrum mehr, das die gegen einander kämpfenden und sich abstoßenden Kräfte zusammengehalten hätte. Die Stiftung hatte ihre Verantwortung abgegeben, der Staat wollte sie nicht übernehmen. Stiftung und HfG strebten auseinander. Dozenten, Assistenten und Studenten waren sich uneins. die unterschiedlichen Interessen der Politiker in Ulm und Stuttgart sowie der Presse schürten die Konflikte.
Auch für 1969 bewilligte der Stuttgarter Landtag der HfG am 18. Juli 1968 erneut 900.000 Mark. Dieser Zuschuss wurde also nicht gekürzt. Der Landtag von Baden-Württemberg hat niemals beschlossen, die HfG zu schließen. Diese vielfach verbreitete Aussage ist falsch. Die Landesmittel wurden aber auch nicht erhöht. Das Geld reichte nicht, um den Betrieb der HfG aufrecht zu erhalten. Die Bewilligung waren an Auflagen geknüpft, die bis zum 1. Dezember 1968 erfüllt werden mussten. Im Wesentlichen ging es darum, dass die HfG und die Stiftung ein gemeinsames Konzept für die Weiterführung der HfG vorlegen sollten. HfG und Stiftung akzeptierten diese Auflagen. Als die Sommerferien der HfG endeten, kehrten die meisten Studenten, Assistenten und Dozenten nicht zurück. Lothar Späth bemerkte dazu, die HfG sei auseinander gelaufen wie flüssige Butter.