Auch Quintilian sieht den idealen Redner als »vir bonus dicendi peritus«, als guten Menschen und als Ehrenmann, der zu reden versteht, wie ihn Cato zuerst definierte – mit einer sehr weiten ethischen Bedeutung, der diese auch sprachlich in der Rede zum Ausdruck bringt. »Weiter noch geht, was ich mit dieser Feststellung meine: ich sage nämlich nicht nur, daß, wer ein Redner ist, ein Ehrenmann sein muss, sondern daß auch nur ein Ehrenmann überhaupt ein Redner werden kann.«[4]
Oft wird, wenn von der Wirkung der Rednerpersönlichkeit die Rede ist, diese Wirkung einem der Person zukommenden Charisma zugesprochen. Der Begriff hat im Laufe der Geschichte eine starke Wandlung erfahren. Er stand ursprünglich für die Überzeugungskraft des guten Redners in dem Sinn, wie ihn Quintilian verstand. »Worauf es ankommt, ist, dass das ethos im Kontext der Rede selber zur Erscheinung kommen muss, um beim Publikum verfangen zu können.«[5] Allerdings hat sich der Begriff im heutigen Star-Kult wesentlich verändert. Das modern wirkende Charisma-Konzept beruht »auf künstlichen Praktiken, auf der Konstruktion eines Scheins […], der der jeweiligen Person gerade äußerlich ist und von ihr daher auch abgezogen werden kann«[6].
So ist es für das heutige Rednerideal sehr wesentlich, dass für ihn ein bei seiner Zielgruppe wirkendes Image aufgebaut wird. Schon die antike Rhetorik unterschied nach dem Altphilologen Heinrich Lausberg[7] zwischen Aspekten der Rede, die einem »inneren und äußeren Aptum (πρέπον, gr. prepon)« zugerechnet werden können, der inneren und äußeren »Angemessenheit«. »Inneres wie äußeres πρέπον betreffen (…) alle Bearbeitungsphasen der Rede.«[8] Zum inneren Aptum gehört unter anderem die logische Schlüssigkeit, Klarheit und Verständlichkeit der Rede; die äußere Angemessenheit ist geprägt durch ein Umfeld, in dem auch moderne Begriffe wie Framing, Nudging und Priming Platz finden, die für die Wirkung einen bestimmten Rahmen, Anreize und Voreinstellungen schaffen sollen. Das »›Nudging‹, das ›Anschubsen‹ als Strategie zur Einstellungsänderung, ›Priming‹, als jenes Hervorrufen eines Reizes, der bestimmte Assoziationen aktiviert und dadurch Einstellungen und Handlungen auslöst und ›Framing‹, bei dem ein Deutungsschema für bestimmte Botschaften vorgegeben wird«[9].
- [4] Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners: Zwölf Bücher. Darmstadt: WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), 2011. XII 1, 3. S. 687.
- [5] Ueding, Gert: Ethos und Charisma des Redners. In: Häusermann, Jürg (Hg.): Medien und Persönlichkeit. Tübingen 2001, S. 69—82, hier S. 76. Zudem: https://www.youtube.com/watch?v=TFLyZMIdoyU
- [6] ebd., S. 71. Ein Faktum, dass in unserer heutigen Medienwelt gleich zweifach höchst willkommen ist: Wird eine Person erst einmal zum »Star« gemacht, wird selbst das Privatleben für den Boulevard und den gaffenden Mob interessant. Dabei entsteht eine große Fallhöhe, die dann beispielsweise bei Verfehlungen wirksam wird. Wer sich mit Medien auskennt, weiß, dass die große Fallhöhe und der anschließende Fall das Interesse der Massen ganz besonders wecken.
- [7] Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. München 1960(2). S. 508.
- [8] ebd.
- [9] Steinbrink, Bernd: Psychologie der Überzeugung. In: Friedrich, Volker (Hg.): Rhetorik. Ein Internationales Jahrbuch. Bd. 41: Angewandte Rhetorik. Berlin, Boston 2022, S. 16—17.