3 Die GIGA-Adaptionsmethode
Die hier vorgestellte Methode ist eine Handreichung für Studierende, die dazu verhelfen soll, die mündlichen Kompetenzen für den schriftlichen Ausdruck nutzbar zu machen. Dazu bedient sie sich eines psychologisch wirksamen Vergleichs von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie eines Cicero-Zitats[8] in deutscher Übersetzung, der das aptum als Stilwerkzeug vermittelt. Somit wird ein normativer Text aus der römischen Rhetoriktradition in der modernen Hochschulschreibdidaktik verwendet. Dieser Ansatz ist angesichts der aktuellen Entwicklung der Schreibzentrumsarbeit, die Direktiven vermeiden will und Kreative Schreibübungen vorzieht, eher ungewöhnlich.[9]
Zunächst wird im Unterricht, ähnlich wie im Abschnitt oben, die Sprech- mit der Schreibsituation verglichen. Erhoffter Erkenntnisgewinn: Die Schreibsituation ist tendenziell problematisch für jeden! Studierende, die sich selbst als schreibschwach einschätzen, könnten diese Einsicht als Entlastungserfahrung erleben.
Im nächsten Schritt wird auf den weit verbreiteten Wunsch nach Selbstoptimierung zurückgegriffen und in Aussicht gestellt, die vorhandenen mündlichen Kapazitäten auf den schriftlichen Ausdruck zu übertragen. Mit dieser Ankündigung soll bei den Teilnehmenden die Bereitschaft geweckt werden, die Aufgabe beherzt in Angriff zu nehmen, auch wenn diese darin besteht, sich mit einem sperrigen, altertümlichen Text auseinanderzusetzen.
Der Autor Cicero wird kurz porträtiert und das Zitat (s. Abb. 2) verlesen. In einer Partnerübung müssen nun die vier Kriterien aufgespürt und benannt werden, die bei Cicero die stilistische Angemessenheit, das aptum, eines Sprachbeitrags charakterisieren. Dazu gilt es mehrfach und genau zu lesen, die Inhalte miteinander zu diskutieren und zu kategorisieren.
Abbildung 2: Partneraufgabe Textanalyse
Im Anschluss werden in einer erneuten Textanalyse des Plenums die Ergebnisse zusammengetragen und unter vier Label subsumiert. Dabei wird hervorgehoben, dass Cicero nicht zwischen gutem und schlechtem Stil unterscheidet, sondern lediglich zwischen mehr oder weniger passendem Stil. Es geht hier also – anders als bei Rechtschreibung und Grammatik – nicht um eine binäre Beurteilung als richtig oder falsch, sondern um eine skalierbare Größe, ein Mehr-oder-weniger-Adäquat.[10]
Und gibt es tatsächlich nur drei Arten zu sprechen, drei genere dicendi? Nein, in Wahrheit sind die Sprachniveaus, über die wir verfügen, so zahlreich wie die Sprech- und Schreibanlässe selbst und daher fein voneinander unterschieden. Die drei traditionellen Stilebenen – erhaben (grave), mittel (mediocre) und niedrig (extenuatum) –, die Cicero, der Dreistillehre[11] verpflichtet, benennt, sind der aristotelischen Tradition geschuldet und stellen eine starke Vereinfachung dar.
Ein pädagogischer Nebeneffekt der Unterrichtseinheit besteht darin, Begeisterung dafür zu wecken, dass in diesem kurzen, jahrtausendealten Textausschnitt eine ganze Reihe zeitloser Erkenntnisse steckt, die bis heute Gültigkeit besitzt und ohne Abstriche auf das akademische Schreiben übertragbar ist.[12] Die Auseinandersetzung mit einer historischen Quelle, wie sie sonst im Fachstudium nicht vorkommt, kann für die Teilnehmenden eine literaturanalytische Erfolgserfahrung sein und ein weiterführendes Interesse an der Rhetorik und der Ideengeschichte der Menschheit erwecken.[13]
- [8] Cic. De orat. III.210–212; deutsche Fassung s. Abb. 2.
- [9] Vgl. dazu Oertner 2022.
- [10] Dies unterscheidet die Kunst, richtig zu sprechen (ars recte dicendi), von der Kunst, gut zu sprechen (ars bene dicendi); vgl. dazu Till 2005, Sp. 1541.
- [11] Vgl. Auct. ad Her. IV.11–16, vgl. dazu Spang 1994, Sp. 926; Till 2005, Sp. 1568–1569.
- [12] Die reiche Ergiebigkeit und Zeitlosigkeit der Quellen wird von Niehr bestätigt, der bei Cicero und Quintilian »entscheidende Bestimmungsstücke des Begriffs (Angemessenheit) (findet), auf die sich die Linguistik und die Rhetorik bis heute beziehen« (Niehr 2015, S. 102). Ebenso Asmuth: »Erkenntnisse und Probleme, die bis heute die Diskussion der Angemessenheit bestimmen, lassen sich größtenteils auf Aussagen der Antike zurückführen« (Asmuth 1992, Sp. 583).
- [13] Zu weiteren möglichen Erträgen des methodischen Rückgriffs auf die Rhetoriktradition im Hochschulschreibunterricht vgl. Oertner 2022; Friedrich 2018.