Buchbesprechung
»Dozenten neigen dazu, nicht zuzuhören«
Sven Ingmar Thies schreibt über das Lehren
Eine Reise. Das Berufsleben ist eine Reise, die einem einen Stempel aufdrückt; das Lehren ist eine Reise für den Dozenten und den Studenten. Beide Aspekte verdeutlicht das Buch »Teaching graphic design, Approaches, insights, the role of listening and 24 interviews with inspirational educators« von Sven Ingmar Thies. Seine berufliche Reise als Student in Deutschland und England (London) macht das deutlich, sodann machen es seine in der Arbeit für große Markenagenturen in London und schließlich die als Akademiker in Japan und Wien gewonnenen Erfahrungen deutlich. Auf diesem Weg hat sich der Autor gebildet und Freunde, Kollegen und Bekannte kennengelernt, die nun Interviewpartner wurden. Die Reise – und nicht minder die Liste der Interviewpartner – ist beeindruckend, international, disziplinenübergreifend und hochkarätig.
Das Buch ist in vier Hauptkapitel unterteilt. Das erste gibt den Rahmen vor und definiert den Begriff »graphic design« (was meiner Meinung nach gut gelungen ist, es entspricht meiner Auffassung des Begriffes). So begründet Thies in seiner ausgewogenen Weise diese Sicht: “Due to this continuous expansion, the wish to rename graphic design has come up again and again, which seems understandable at first. After all a new term seeks to capture and reflect the latest developments. At the same time, however, it seems a bit like inventing new professional titles so that every single employee has an individual position to show on their business card. … Why insist on new nomenclature when technological change gives rise to new media and forms of communication, but the substance remains the same?” (S. 23) Das nächste Kapitel arbeitet des Autors Auffassung von Lehre aus. Das dritte Kapitel mit Interviews ist mit Abstand das umfangreichste, es nimmt zwei Drittel des Buches ein und ist das inhaltsreichste des Buches. Der vierte Teil des Buches ist eine kleine Beispielsammlung mit Aufgaben.
Dass Thies über eine gewinnende Art verfügt, wird durch die lange Liste der Interviews belegt, durch seine Begeisterung und Offenheit bezüglich der Lehre und durch sein Porträt auf Seite 2. Seine Liebe zum Zuhören oder auch zum Dialog prägt auch den Schreibstil seines Buches. Viele Teile des Buches sind als Gespräch des Autor mit sich selbst verfasst. Zum Beispiel: “Is there any action that teachers tend to employ less consciously? Is it the asking, listening, speaking, rethinking or letting a person do something? My experience from observations and conversations with teachers and students is that teachers tend to listen less often.” (S. 50) Das ist eine klare Stärke des Buches: Die Haltung »Ich bin neugierig und habe eine Menge zu lernen« zieht sich durch das Buch und fordert den Leser heraus, die eigene Lehre zu überdenken. Der Autor bricht die Lehre auf das Wesentliche herunter: Pünktlichkeit, Gestaltung, Aufgaben, Rückmeldung und das ständige Zuhören. Mit dieser Unterteilung gibt Thies dem Leser die Möglichkeit, Stück für Stück die eigenen Lehrmethoden und -gewohnheiten zu reflektieren. Wünschenswert wäre eine Spalte, um sich beim Lesen Notizen machen zu können.
Auch die Aufgabensammlung ist hervorragend, da sie einen frischen Blick auf die Lehrstile ihrer Vertreter erlaubt. Ohne Zweifel lassen sich Bücher finden, die eine größere Sammlung von Aufgaben anbieten (z. B. Heller, Steven (Hg.): Teaching Graphic Design, Course Offerings and Class Projects from the Leading Undergraduate and Graduate Programs. New York: Allworth, 2003; ders. (Hg.): The Education of a Graphic Designer. New York: Allworth, 1998), aber Thies’ Aufgabensammlung setzt einen hervorragenden Kontrast zu den Gesprächen bzw. Interviews in seinem Buch und rundet das Buch als Ganzes ab. Die Interviews sind der beste Teil des Buches, eine wertvolle Zusammenstellung von Designdozenten sehr unterschiedlicher Hintergründe, Disziplinen und Stärken. Thies lässt sie erzählen und ermutigt sie, über ihre Lehrphilosophie, Erfolge und Misserfolge zu sprechen. Die alphabetische Reihenfolge sorgt für eine bunte und interessante Mischung und verbirgt zugleich die enge Verbindung dieser Personen zu Thies’ eigener Reise.
Gleichwohl hat das Buch Schwächen – leider. Als Muttersprachler empfand ich die Sprache manchmal etwas hölzern und hätte zu einer freieren Übersetzung geraten. Keine Frage, Übersetzungen bleiben immer ein schwieriges Unterfangen. In dem Buch haben wir es mit Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen zu tun, was erschwert, den Stil und die kulturellen Nuancen zu treffen. Und auch wenn das Buch keines über Buchgestaltung ist, enttäuscht sein Design, und das Cover fühlt sich wirklich abstoßend an. Das hat mich am meisten überrascht. Bei einem Autor mit einer ausgezeichneter Karriere, Mitglied einer der größten Designuniversitäten Europas (an der es weder an Geld noch an Talent mangelt), sollte die Gestaltung spektakulär sein. Im Vergleich zu Adrian Shaughnessys »How to be a Graphic Designer Without Loosing Your Soul« oder Michael Bieruts »79 Short Essays on Design« bleibt es weit zurück. Als letzter und geringfügiger Kritikpunkt sei angeführt: Gefreut hätte mich am Ende des Buches eine Reflexion des Autors über die Interviews und über das, was er ihnen entnimmt.
Letztlich wiegen die Inhalte schwerer als die äußerlichen Negativpunkte. Thies’ Buch über das Unterrichten von Grafikdesign bietet Designdozenten viel: Inspiration, Reflexion und die stets so wichtige Reise außerhalb der eigenen Blase. (Übersetzung: Volker Friedrich.)