Werden aber Personen, die sich wissenschaftlich betätigt haben, mit dem Vorwurf konfrontiert, dabei die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens verletzt zu haben, so ist dies in erster Linie nichts anderes als Kritik an (fehlender) wissenschaftlicher Arbeitstechnik, zumindest mit Blick auf die Transparenz der verwendeten Quellen. Natürlich kann dies bei Menschen, die inzwischen außerhalb der Wissenschaft in herausgehobener Position stehen, auch weit darüber hinausgehende Konsequenzen haben. Die Frage ist allerdings, ob dies ein Argument zur inhaltlichen oder gar personalen Einschränkung des wissenschaftlichen Diskurses sein kann.[13]
Zudem: Wer eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, gibt damit auch sein Einverständnis, dass dieser Text gelesen werden darf – auch kritisch und auch mit einem prüfenden Blick auf die Quellenverarbeitung. Einerseits also einen Doktortitel öffentlich zu führen und von diesem unmittelbar über ein höheres Gehalt oder auch nur mittelbar über das Sozialprestige des Titels zu profitieren, andererseits aber öffentliche Kritik an der zugrundeliegenden Arbeit für ehrenrührig zu halten, ist ein Selbstwiderspruch.
Und auch die öffentliche Zugänglichkeit der Kritik ist in einem wissenschaftlichen Kontext nur folgerichtig, denn es gehört zu den Essentialia wissenschaftlichen Arbeitens, dass die Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht werden, schon damit die wissenschaftliche Gemeinschaft sich mit diesen auseinandersetzen kann.[14] Einen »Pranger« errichtet höchstens die Presse in der allgemeinen Berichterstattung über Plagiatsvorwürfe, nicht diejenigen, welche die Textübereinstimmungen dokumentieren.
Da es sich bei einer solchen Dokumentation auch nicht um einen Strafprozess oder ein vergleichbares Sanktionierungsverfahren handelt, ist auch die viel beschworene Unschuldsvermutung[15] hier fehl am Platze. Plagiatsdokumentationen sind eine Methodenkritik. Sie bilden gegebenenfalls die Basis für Verfahren zur Titelentziehung an den Hochschulen. Sie können und wollen aber nicht selbst Sanktionen verhängen.
Andererseits ist es zwar in Verwaltungsverfahren, und dazu gehört auch eine Titelentziehung durch eine Hochschule, und erst Recht in Personalsachen, wenn es etwa um dienstrechtliche Konsequenzen von Fehlverhalten geht, grundsätzlich richtig, wenn die Verfahrensinhalte vertraulich behandelt werden. Soweit es allerdings um wissenschaftliches Fehlverhalten geht, sind die universitären Entscheidungsgremien in einer Doppelrolle: Sie entscheiden nicht nur einen Einzelfall, sondern müssten diese Entscheidung eigentlich auf Basis eines allgemeingültigen Regelwerkes zu guter wissenschaftlicher Praxis treffen. Ähnlich wie Gerichte, die anhand von Einzelfällen die gesetzlichen Normen konkretisieren und damit deren künftige Anwendung auch determinieren, müssten daher auch universitäre Entscheidungsgremien ihre Ergebnisse begründen, schon damit diese Begründungen mit den Normen abgeglichen werden können und eine zukunftsgerichtete Diskussion darüber möglich wird, was als wissenschaftliches Fehlverhalten gilt und was nicht. Im Moment geschieht dies nur teilweise und meist nur in eher vage gehaltenen kurzen Erklärungen, aus denen sich herauslesen lässt, dass gerade die Hochschulen von einheitlichen Maßstäben scheinbar noch weit entfernt sind.[16] Hier wäre ein mehr an Öffentlichkeit im Interesse der Weiterentwicklung und Vereinheitlichung der Prüfungsmaßstäbe sehr wünschenswert.
2 »Die?« Die Legitimation der Dokumentare
Es gehört in den Debatten, die aufkommen, wenn sich die Veröffentlichung eines Plagiatsvorwurfs auf einen anderwärts prominenten Autor bezieht, schon zum immer wiederkehrenden Inventar, diejenigen, die auf Wiki-Plattformen in mühsamer Handarbeit die entsprechenden Arbeiten überprüfen, als unqualifiziert, charakterlich fragwürdig und vor allem als gar nicht zuständig zu bezeichnen, um die vermeintlichen Opfer vor diesen angeblich unfairen und nur als politisch motiviert zu erklärenden Angriffen aus dem Hinterhalt in Schutz zu nehmen.[17] Dieses Muster findet sich bei journalistischen Texten.[18] gehäuft und zugespitzt in den Kommentarspalten zu entsprechenden Artikeln, aber auch in wissenschaftlichen Fachtexten. Gerade aus wissenschaftsinterner Perspektive sind diese Vorwürfe eigentlich schwer aufrecht zu erhalten.
Dabei ist schon die Grundfrage für sich fragwürdig: Warum muss sich eigentlich irgend jemand dafür qualifizieren oder eine Zuständigkeit nachweisen, der nichts anderes tut, als einen in Buchform veröffentlichten Text einer methodischen Kritik zu unterziehen, die zudem detailliert belegt wird? Gerade innerhalb der Wissenschaft sollte es nicht auf die Autorität der sich äußernden Person ankommen, sondern nur auf den inhaltlichen Gehalt. Und auch in der allgemeinen Presse stellt in der Regel niemand die Qualifikation der Buch-, Film- oder Theaterkritiker in Frage.
- [13] Für eine Trennung beider Fragen plädiert auch Rieble, Volker: Berufsverbot für (Dr.) Anette Schavan? In: aviso 1/2014, S. 38 ff.
- [14] Siehe dazu schon Merton, Robert K.: Wissenschaft und demokratische Sozialstruktur. In: Weingart, Peter (Hrsg.), Wissenschaftssoziologie I. Wissenschaftliche Entwicklung als sozialer Prozess, Frankfurt am Main 1973, S. 45 (47 ff.).
- [15] Auf die etwa der damalige Innenminister H.-P. Friedrich zugunsten von A. Schavan insistierte, zitiert in der Welt vom 22.10.2012, »Friedrich verteidigt anonyme Plagiatsjagd im Netz«. http://t1p.de/Friedrich-Welt-20121022 (Stand: 7.6.2016).
- [16] Dazu nochmals Basak, Reiß, Schimmel (Fn. 9), RW 2014, S. 277 (285 ff. und 298 ff.).
- [17] Seegers, Armgard: Die Besserwisser sind so schlimm wie die Betrüger. In: Hamburger Abendblatt vom 13.5.2011, http://t1p.de/Seegers-HA-20110513 (Stand: 7.6.2016) spricht hier von »Blogwarten«. Warnecke, Tilmann: Schavans Doktorvater: »Eine sehr beachtliche Leistung«. In: Tagesspiegel vom 16.10.2012, http://t1p.de/Warnecke-Tagesspiegel-20121016 (Stand: 7.6.2016) listet eine prominente Schar von Verteidigern der damals noch im Amt befindlichen Wissenschaftsministerin mit verschiedensten Vorwürfen auf.
- [18] Zu A. Schavan zusammenfassend Hoffmann, Chirstiane: Cui bono ? In: FAZ vom 21.10.2012, http://t1p.de/Hoffmann-FAZ-20121021 (Stand: 7.6.2016).