Zusammenführung und Konsequenzen
In diesem Beitrag habe ich ein kleines theoretisches System entworfen. Mit seinen drei Elementen – »Elemente«, »Paradigmen«, »Medien« – ist das System nicht sehr kompliziert; es weist aber die maximal mögliche Komplexität auf[48], da jedes Element mit jedem anderen in Verbindung steht. Elemente ohne Konzepte, wie sie zu funktional sinnvollen Systemen kombiniert werden, sind nutzlos. Solche Konzepte wurden hier Paradigmen genannt. Systeme ihrerseits sind immer aus Elementen aufgebaut. Sowohl technische Elemente wie auch ihre Systeme und Paradigmen sind repräsentiert durch Medien unterschiedlicher, und v.a. auch nicht-verbalsprachlicher Art. Aufgrund dieser wechselseitiger Abhängigkeiten – so die These dieses Artikels – sollte man für ein Nachdenken über Technik stets die Trias »Elemente – Paradigmen – Medien« im Auge behalten.
Ist diese Sichtweise neu oder erstaunlich? Wie bereits zu Beginn angedeutet, gilt dies für die einzelnen thematischen Bausteine erst einmal nicht. Aus diesem Grund konnten sie auch jeweils leicht in der Literatur verortet werden. Allerdings werden diese Aspekte häufig isoliert betrachtet. Eine elementbasierte Herangehensweise à la Schumpeter, Usher oder Arthur[49] wäre damit zu ergänzen um die wirksamen Paradigmen und die genutzten Medien. Warum? Soll etwa technischer Wandel erklärt bzw. rekonstruiert werden, ist es denkbar, dass Wandlungsprozesse durch neue stilprägende Lösungen – Paradigmen – begünstigt wie auch durch veränderte Medien beeinflusst werden. Die vorgestellte Betrachtungsweise kann damit empirischen Disziplinen mit Technikbezug wie Technikgeschichte oder Ökonomie nutzen.
Auch für die Technikwissenschaften selbst stellt die vorgestellte Dreiteilung ein sinnvolles, strukturgebendes Werkzeug zur Verfügung. Wie bildet man kompetente Ingenieure aus? Indem man ihnen die für ihr Feld nötigen Elemente, prägenden Paradigmen und verwendeten Medien lehrt. Dies ist eine Sichtweise, die in den Technikwissenschaften keinesfalls immer explizit reflektiert wird. Auch metatechnische Felder, wie die Technikphilosophie oder die Technikkommunikation, können von der Dreiteilung »Elemente – Paradigmen – Medien« profitieren. Die Technikphilosophie kann damit die black box Technik ein Stück weit öffnen und »Technik« nicht nur abstrakt und als Begriff, sondern in der Form konkreter Systeme thematisieren. Die Technikkommunikation kann ihre starke Ausrichtung auf die Verbalsprache etwas lockern und auch weitere Medien in den Blick nehmen[50].
Natürlich bieten sich viele weitere Anschlussstellen. Wie steht es etwa mit Design-Artefakten? Versteht man unter Design-Artefakten funktionale Gegenstände, die als Teil ihrer Funktion einen ästhetischen Mehrwert aufweisen, wird im Gestaltungsprozess die ästhetische Induktion[51] deutlich wichtiger. Denn ästhetische Kriterien fungieren dann nicht mehr nur als Heuristik, sondern erhalten eine verstärkte Eigenständigkeit[52]. Eine analoge Analyse, wie sie hier für Technik vorgeschlagen wurde, kann natürlich auch für Kunst vorgenommen werden. Auch dort lassen sich Elemente, Systeme, Paradigmen, Stile etc. unterscheiden[53]. Allerdings sind die Elemente hier wesentlich weniger festgelegt und standardisiert, verglichen mit der Technik, wo sie teils sogar genormt sind – man denke etwa an Schrauben. Zudem ist die Tätigkeit, die in der Technik als »Probehandeln«[54] begriffen werden kann, nämlich die Arbeit mit den erwähnten Medien, in der klassisch verstandenen Kunst oft mit dem künstlerischen Handeln selbst identisch. Ein Ingenieur fertigt eine Handskizze an, um auszuloten, welches Artefakt anschließend hergestellt werden soll. Für einen Künstler dagegen kann die Skizze selbst schon das Produkt sein. Ich muss mich hier mit diesen knappen Anmerkungen begnügen und hoffen, dass sie das Potential angedeutet haben, das in dem vorgestellten Ansatz steckt.
- [48] vgl. Exkurs.
- [49] vgl. »Baustein 1« oben
- [50] vgl. z. B. Rothkegel, Annely: Technikkommunikation. Wien 2010. Dort sind lediglich fünf von 284 Seiten (S. 176—180) technischen Bildern gewidmet; der Rest konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die Verbalsprache.
- [51] vgl. »Baustein 2« oben, wo die ästhetische Induktion vorsichtig als möglicher Mechanismus im Konzeptionsprozess technischer Artefakte vorgeschlagen wurde.
- [52] Eine aktuelle und umfassende Erschließung des Design-Begriffs findet sich in Feige, Daniel Martin: Design. Eine philosophische Analyse. Berlin 2018.
- [53] Eine Annäherung an die Kunst, die sich einige Aspekte mit meinem systemtheoretischen Zugang teilt, ist Bertram, Georg W.: Kunst. Eine philosophische Einführung. Ditzingen 2016. Dort heißt es z. B., dass in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken, die »Strukturen ihrer Elemente nachvollzogen« würden (S. 248, vgl. auch S. 217—218). Zudem verweise ich auf die groß angelegte Studie Reckwitz, Andreas: Die Erfindung der Kreativität. Berlin 2012. Reckwitz räumt der Kombinatorik im ästhetischen Schaffen eine wichtige Rolle ein (vgl. z. B. S. 164, 332).
- [54] Glotzbach: Zur heuristischen Funktion der technischen Handzeichnung, a. a. O. Vgl. dazu auch »Baustein 3« oben.