Mythen des Alltags
Food Porn – wessen Auge isst mit?
Über das Fotografieren von Mahlzeiten
»Moment, noch nicht anfangen zu essen. Ich muss erst noch ein Foto machen und das in meine Instagram-Story laden.« Heutzutage ist das ein ganz normaler Satz am Tisch. Bevor das mühevoll gekochte Essen verzehrt werden darf, muss es erst noch für die Ewigkeit auf Smartphones, Instagram-Profilen und Clouds der namhaften Social-Media-Unternehmen festgehalten werden.
Das stundenlange, kunstvolle Anrichten von hippen Mahlzeiten, wie Avocado-Toast oder einer »Healthy Bowl« wird nicht für das eigene Auge getan. Nein, Big Brother is watching you: Damit sind die zahlreichen Instagram-, Snapchat- und Facebook-Follower gemeint. Je mehr Like-Angaben der Beitrag erhält, desto besser fühlt man sich – als sei man der König der Küche. Was zählt, ist das Aussehen der Mahlzeit, weniger, ob es später auch wirklich mundet.
Woher kommt dieser Drang zum Dokumentieren von Speisen? Gewiss, unsere Urvorfahren haben mit stolzer Brust ihrem Rudel den selbsterlegten Bison präsentiert – die ein oder andere Höhlenmalerei erlegter Tiere belegt das. Aber das Wandgemälde wurde sicherlich nicht vor dem Essen angefertigt, und das erlegte Tier wurde auch nicht mühevoll drapiert und inszeniert. Es scheint also einen Ruf nach Aufmerksamkeit in unserer globalisierten Welt zu geben.
Inzwischen erreichen Beiträge auf Instagram mit dem Hashtag #food, #foodporn und #foodstagram Verlinkungen in Millionenhöhe. Tutorials, die zeigen, wie man das stilvoll inszenierte Mahl am Besten belichtet und in Szene setzt, bekommt man mittlerweile von mehreren Supermarktgiganten oder Lieferdiensten gratis unter die Nase gerieben. Ob man es glaubt oder nicht – in New York besteht sogar die Möglichkeit, einen Kurs zum Thema »professionell Essen fotografieren« an einer der prominentesten Kochschulen zu besuchen.[1]
Essen hat mit Genuss zu tun. Wieso müssen wir dann warten, bis Millionen andere Menschen da draußen das Kunstwerk gesehen haben, bevor wir selbst zugreifen dürfen? Brauchen wir jetzt auch schon bei dem Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme Bestätigung und Lob? Ist ein Gespräch mit unserem menschlichen Gegenüber aus Fleisch und Blut plötzlich weniger wert als das Schmeicheln unseres Smartphones und das Ergötzen über jedes einzelne Like?
Dabei sollten wir uns eigentlich daran erfreuen, dass wir noch soziale Kontakte außerhalb der Social-Media-Welt besitzen. In diesem Sinne: Das Auge gerne mal vom Smartphone und vom kunstvoll inszenierten Mahl heben, um sein Gegenüber anzulächeln. Denn das Auge kann mehr als bloß mitessen.