Mythen des Alltags
Grillen
Über die Selbstverwirklichung am Rost
Wenn man beim ersten warmen Wetter im Frühling durch die Straßen läuft, kann man es mit sämtlichen Sinnen erfahren: Die Grillsaison ist eröffnet. Zu Rauchschwaden klingt gute Laune und Geselligkeit aus den Gärten. Aus allen Richtungen fliegen einen Gerüche an, die Lust auf das machen, was dort zubereitet wird.
Dabei ist Grillen nicht einfach nur Grillen. Grillen könnte zwar ganz einfach gestaltet werden – mit einer Wurst auf einem zugespitzten Holzstab über dem Lagerfeuer –, muss es aber nicht. Egal ob Grillgut, Grill, Beilagen oder Getränke – inzwischen gehört es beinahe zum guten Ruf, seine eigene Persönlichkeit beim Grillen zu entfalten. Dabei landet das Rindersteak noch relativ klassisch auf dem Rost, aber Rindersteak ist nicht gleich Rindersteak. Es gibt verschiedene Cuts wie das in Frankreich beliebte Entrecôte oder das in der USA beliebte T-Bone-Steak, und man kann das Steak »rare«, »medium« oder »well done« garen.
Ähnlich, nur noch viel komplizierter, stellt sich das Ganze bei Gemüse dar. Man kann die Zucchini als Scheiben in Kräuter und Olivenöl mariniert oder mit einer leckeren Frischkäsefüllung grillen. Womit wir schon beim Thema wären: Der Vegetarier bringt seinen Grillkäse mit, egal ob Halloumi oder Camembert – Hauptsache, er kommt nicht mit dem Fleisch in Kontakt, und alle Nicht-Vegetarier dürfen nachher auch noch probieren. Da der Grillrost für all diese individuellen Wünsche schon jetzt viel zu klein ist, wird zur weiteren Darstellung des eigenen »lifestyle« auf die Salattheke zurückgegriffen. Wer einen klassischen Nudel- oder Kartoffelsalat mitbringt, lässt diesen meist noch von Mama oder Oma machen, denn nur dann schmeckt er so richtig lecker. Ansonsten finden sich außergewöhnliche Kombinationen aus Avocado, Quinoa und Kichererbsen mit noch außergewöhnlicheren Limetten-Honig-Dressings auf Walnussöl-Basis.
Aber warum lieben wir alle das Grillen so sehr? Es geht dabei – auch wenn dies die selbsternannten Experten am Grill sicherlich nicht gerne hören – nicht nur um das saftige Steak oder die krosse Zucchini. Nein, das gute Essen ist nur einer der Genüsse, der aus Grillen ein soziales Event der Freude macht. Neben den zugegeben leckeren Speisen und der ab und zu vielleicht zu gut gemeinten Zutatenschlacht und Selbstinszinierung treffen wir Freunde, unsere Familie oder Nachbarn. Dabei erleben wir gemeinsam tolle Stunden und führen interessante Unterhaltungen bei bestem Wetter und einem leckeren Glas Rotwein oder selbstgemachter Limonade. Es ist egal, ob es sich um das deutsche Grillen, das amerikanische Barbecue oder das südafrikanische Braai dreht – auf der ganzen Welt lassen wir den Alltag hinter uns und genießen einige Stunden Urlaub und legen unseren Fokus auf das Wichtige: das Essen.