Die Botschaft: Seht her, hier herrschen Missstände und Unterdrückung, und darauf aufmerksam zu machen, ist ein Akt der Menschlichkeit. Durch Verlinkungen und den Algorithmus der sozialen Medien wurden die Nutzer zur zweiten Radikalisierungsstufe weitergeleitet: zu Accounts und externen Websites, die offen als Hamas-geführt auftraten. Die Organisation wurde hier als Lösung für die zuvor aufgezeigten Probleme präsentiert, es wurde also von der Pathos- auf die Ethos-Ebene umgeschwenkt. Die Hamas wollte hier nicht als Terrororganisation, sondern als seriöse politische Partei wahrgenommen werden. Dabei verfolgte sie eine klare Bildrhetorik: keine vermummten Terrorkämpfer, keine Waffen, sondern hochrangige Hamas-Führungspersönlichkeiten in Anzügen, die internationalen Politikern die Hände schüttelten (s. Abb. 2) oder auf friedlichen Demonstrationen auftraten.

Abbildung 2: Auf offiziellen Hamas-Kanälen inszenierte sich die Hamas als seriöse politische Partei, etwa durch Bilder von Meetings mit internationalen Politikern.
Die Botschaft: Vertraut uns, wir kümmern uns um das Problem. Der dritte Schritt richtete sich fast ausschließlich an ein arabischsprachiges Publikum, das hier für die Teilnahme am bewaffneten Kampf gewonnen werden sollte: Auf externen Websites wurde der Kampf der Al-Qassam-Brigaden, also des bewaffneten Arms der Hamas, beworben.

Abbildung 3: Die Website der Al-Qassam-Brigaden nutzte eine gewaltverherrlichendere Bildsprache als die internationalen Hamas-Kanäle. Bilder wie diese enthielt die Hamas einem nicht-arabischen Publikum lange Zeit vor, um nicht abschreckend zu wirken.
Die Bildrhetorik hier unterschied sich radikal von jener der anderen Kanäle: Eine von Ego-Shootern inspirierte Optik mit Tarnfarben, schmutzigen Texturen, Infografiken über erfolgreiche Terroroperationen und mit viel Heldenpathos inszenierte Bilder vermummter, bewaffneter Kämpfer prägten die Optik der Al-Qassam-Website. Auch die damals noch auf Youtube zu findenden arabischsprachigen Fernsehprogramme der Hamas-Sender entsprachen so gar nicht dem Bild, das die Organisation von sich auf ihren internationalen Kanälen zeichnete: TV-Filme erzählten die Geschichten fiktiver palästinensischer Actionhelden, die gegen die jüdische Bedrohung kämpften; selbst in den Kinderprogrammen erklären niedliche Comicfiguren, dass man Juden verprügeln oder töten muss.[4]
Allen Kanälen gemein war eine unterschiedliche visuelle Darstellung von Juden und Palästinensern[5]: Während Palästinenser als vielfältige Gesellschaft gezeigt wurden – sie traten in der Rolle von Frauen, Kindern, Eltern, Demonstranten, Verletzten, Politikern, Gefangenen und (seltener) Kämpfern auf – erschienen Juden fast ausschließlich in einer Form: als bewaffneter, männlicher Soldat (s. Abb. 4); auf arabischsprachigen Accounts oft auch als antisemitische Karikatur im Stile der Nazipropaganda.

Abbildung 4: Israelis wurden auf Hamas-Kanälen lange ausschließlich als männliche Soldaten gezeigt, um weniger Empathie aufkommen zu lassen.
Die Darstellung von Juden zielte auf allen Kanälen darauf ab, so wenig Empathie wie möglich aufkommen zu lassen.
Mittlerweile sind so gut wie alle offiziellen Kanäle der Hamas von den sozialen Plattformen gelöscht worden; auch das striktere Vorgehen der Betreiber gegen extremistische Inhalte zwingt die Hamas wohl, sich medial neu auszurichten.
- [4] o. A.: Sendung auf Al Aqsa TV, 2.5.2014. Zitiert nach: o. A.: Hamas TV Children’s Show Encourages Killing of Jews. #4265. In: Website von MEMRI TV, https://www.memri.org/tv/hamas-tv-childrens-show-encourages-killing-jews; ohne Datum, Abrufdatum: 1.11.2023.
- [5] Herrmann, Philipp: Vertrauen Sie uns – wir sind Terroristen! Eine Analyse der Propaganda der Hamas. Unveröffentlichte Studienarbeit, Hochschule Konstanz 2018. S. 38—39.