Buchbesprechung
»Ich bin noch ganz erfüllt«
Christian Sauer empfiehlt Kreativen: einfach raus.
In seinem Buch »Draußen gehen – Inspiration und Gelassenheit im Dialog mit der Natur« beleuchtet Christian Sauer das Draußengehen in der Natur im Wechselspiel mit der Arbeit am Schreibtisch. Auf 176 Seiten arbeitet er mit zwei Sorten Text: Erfahrungen, die er selbst beim Gehen und Wandern gemacht hat, und dem analytischen »Was passiert beim Gehen«. Das Buch ist in drei Überkapitel gegliedert: »Draußen gehen als Kulturtechnik für Kreative«; »Unterwegs: Gehen im Dialog mit der Landschaft – und mit sich selbst«; »Mit allen Sinnen in der Landschaft: Erfahrungen und Impulse«. Darin werden Selbsterfahrungen des Autors beschrieben und durch Gespräche und Recherchen erweitert und gebündelt.
Warum Draußen gehen? Draußen gehen sei der Schlüssel zu mehr Zufriedenheit und sogar zu mehr Erfolg, gerade für Menschen, die von ihren Ideen leben (S. 19). Sauer zitiert Michel de Montaigne, der schon vor 400 Jahren schrieb: »Meine Gedanken schlafen, wenn ich still sitze; meine Fantasie funktioniert dann nicht von selbst – so wie sie es tut, wenn ich meine Beine bewege.« (S. 20) Draußen gehen, spazieren oder wandern ist somit keine neue Erfindung, um seinen Geist anzukurbeln. Sauer schreibt: »Beim Gehen schüttelt sich körperlich und geistig vieles in uns zurecht. So einfach ist das.« (S. 24) Und so folgen in seinen Beschreibungen unterschiedliche Möglichkeiten des Draußengehens, ob nun für den Wanderbegeisterten oder für den einfachen Spaziergänger. Gehen hat viele Facetten: die Flucht aus dem Alltag in den Wald (S. 30 f.), das Genießen einer Panorama-Aussicht in den Alpen (S. 66), das Wandern in einem anderen Land (S. 87), das Ausprobieren von Neuem und das hochalpine Wandern (S. 100 f.). Sauer nutzt sein gesammeltes Wissen nicht nur für dieses Buch, sondern auch für seine Tätigkeit als Coach.
In den kurzen Kapiteln geht Sauer auf die unterschiedlichen Arten des Gehens und des Wanderns ein. Er beschreibt bildlich, ohne sich zu sehr in Details zu verlieren. »Der Deich versperrt Sicht und Weg. (…) Tausende winziger weißer Halme, jeder einzelne mit Eiskristallen besetzt. (…) Rechts öffnet sich die Marschlandschaft, platt wie ein Schreibtisch.« (S. 131) Landschaften, die auf den ersten Blick nicht besonders erscheinen, beschreibt er so, dass sie zu einem Bild werden. Sie werden besonders – durch den geschärften Blick, ohne Ablenkung. Details werden beim Gehen entdeckt, nicht im schnellen Vorbeihasten. Der Autor inspiriert und ermutigt die Leser, das Draußengehen auszuprobieren. Gleichzeitig gleicht er seine Erfahrungen mit Erkenntnissen der Wissenschaft ab und erklärt in verständlichen Sätzen Zusammenhänge, so zum Beispiel, warum Gehen beim Denken hilft. Er appelliert an die Kreativen: »Gehen hilft: Es erhält ihre Ideenkraft und macht sie leistungsfähiger und gelassener.« (S. 26) Weiter schreibt er, dass es notwendig sei, als Kreativer einen Erste-Hilfe-Koffer zu besitzen, einen, der hilft, wenn eine Krise kommt. Draußen gehen könnte eine solche Hilfe sein. (S. 60 f.) Viele Schriftsteller und Denker nutzen diese Technik des Gehens und sich Bewegens. Im Gegensatz zu anderen Techniken ist Draußen gehen ohne weitere Hilfsmittel möglich, direkt vor jeder Türe; es kostet kein Geld und ist sowohl in kurzen oder langen Einheiten möglich.
Aus Sackgassen befreien wir uns meist durch das Zutun anderer. Sauer schreibt: »Draußen gehen bringt die Nicht-Komfort-Zone mit hinein in unsere harmlosen Tage.« (S. 119) Anstrengen und durchhalten, um eine Erfahrung reicher werden. Und die Chance, Entwicklung zu erfahren. In dem Buch werden immer wieder Brücken zwischen dem Gehen und dem kreativen Prozess aufgezeigt. Einmal im Lesefluss kann das Buch in einem Rutsch von Anfang bis Ende gelesen werden. Die Sprache ist verständlich und einprägsam. Rasten, ruhen, wahrnehmen, aufstehen – mit einfachen und prägnanten Verben werden einzelne Kapitel eingeleitet. Was macht das Gehen mit einem? »Ich bin noch ganz erfüllt.« (S. 135) Die Sinnesorgane werden geschärft, der Abstand zwischen Schreibtisch und digitaler Welt wird erlebt.
Das Buch in die Hand zu nehmen, ist ein Erlebnis. Es besticht durch seine außergewöhnliche Haptik, einen Stoffeinband und durch Sonderfarben. Für Pausen sorgen die abstrakten Illustrationen, die Platz für eigene Denkanstöße schaffen. Ein positiver Nebeneffekt der Fadenheftung: Das Buch bleibt aufgeschlagen liegen. Der Verlag Hermann Schmidt ist bekannt für seine hochwertigen Bücher, die mit Liebe zum Detail gestaltet werden – so auch dieses.
Das Draußengehen wird nicht nur theoretisch beschrieben, sondern mit eigenen Erfahrungsberichten bestückt; dadurch motiviert das Buch, das Gehen auszuprobieren. Jeder kann seinen Weg finden: spektakulär in den Bergen oder daheim vor der Haustüre. Sauer gelingt es, die Leser abzuholen. »Bis die Bewegungen geschmeidig werden, das Denken flüssig, der Geist ruhig.« So wirbt der Verlag für das Buch. Eine Empfehlung? Ja, nach einem langen Spaziergang, alleine am See – eine Empfehlung an Kreative und alle anderen, die ermutigt werden möchten, draußen zu gehen, und üben wollen, zufrieden zu denken.