Mythen des Alltags
Kalender
Von den Sternen in die Hand
Die Welt stand nie still. Nicht heute und nicht für die Ägypter und Babylonier vor über 4000 Jahren. Mindestens so lange hat die Menschheit versucht, Halt im Fluss der Zeit zu finden.
Wissen über den Jahreszyklus ist für jede Zivilisation unabdingbar. Sie gibt seit Jahrtausenden Aufschluss über Pflanz- und Erntezeiten, die Migration von Tieren oder den anstehenden Winter. Schon seit der Antike wird der Tag-Nacht-Zyklus in 24 Stunden geteilt. Grund ist hier die Zählweise in der sumerischen Keilschrift, die im Gegensatz zum heute gebräuchlichen Zehnersystem ein Sechzigersystem verwendete, das von den Astronomen Babylons übernommen wurde. Der sumerischen Keilschrift ist auch zu verdanken, dass wir eine volle Umrundung in 360 Grad messen. Aus Babylon wurde dieser Standard in die ganze Welt getragen. Die zwölf Einheiten wurden damals auf einer einfachen Sonnenuhr markiert, sodass sich das Längenverhältnis von Tag- und Nachtstunden abhängig von der jeweiligen Jahreszeit verschob.
Die vom Mondzyklus abgeleiteten Monate hatten sich ebenfalls, in den meisten Kulturen, schon früh etabliert. Die exakte Dauer eines Monats variierte, hielt sich aber an den ungefähren Richtwert des Mondzyklus von 29,5 Tagen.
In den meisten Kulturen begann die Gruppierung von Tagen, anhand von unterschiedlichen Gesichtspunkten, in eine kürzere Einheit. Diese ähnelte am ehesten der Woche. Oft waren diese von Marktzyklen bestimmt oder religiös verankert. Die Ägypter zum Beispiel pflegten eine 10-Tage-Woche und das antike Rom eine 8-Tage-Woche. Als die frühe Christenheit dann die 7-Tage-Woche des Judentums übernahm, wurde diese langsam aber sicher zum Weltstandard.[1]
Den Mondzyklen gegenüber steht jedoch die Verteilung der Jahreszeiten. Diese sind schließlich kein Mondphänomen, sondern hängen von der Bahn der Erde um die Sonne ab. Während antike Kulturen, abhängig von ihrer Lage, verschiedene Jahreszeiten zählten, ergeben alle akkuraten Beobachtungen der Sonne ein Jahr mit etwa 365 Tagen.[2] Auch diese Relation war bereits in der Antike bekannt. Schon die Ägypter sahen alle vier Jahre einen Schalttag vor.[3]
Die erste Verwendung der Bezeichnung »Kalender«, für die Sammlung von Zeiteinheiten verdanken wir den Geldleihern des römischen Reiches. Das »Calendarium« war ein Schuldbuch, in dem die sogenannten Kalendae, die ersten Tage der Monate des römischen Kalenders, verzeichnet waren. An diesen Tagen wurden Anleihen vergeben und Schulden eingefordert.[4] Dieser Kalender hatte – im Gegensatz zu dem heute verbreiteten gregorianischen Kalender – erst zehn, später sogar dreizehn Monate, inklusive eines Schaltmonats. Und er sah, wie bereits beschrieben, eine 8-Tage-Woche vor. Die Monate September bis Dezember sind nach den römischen Zahlen Sieben bis Zehn benannt. Juli und August – zunächst Quintilis und Sextilis, also Fünf und Sechs – wurden zu Ehren des ersten römischen Kaisers Augustus und seines Ziehvaters Iulius Caesar umbenannt. Passenderweise trifft der Geburtsname des Augustus – Gaius Octavius, der Achte – hier bei der Zählweise von Ianus, dem Januar, aufwärts genau den achten Monat.[5]
Mit der Einführung mechanischer Uhren im 13. Jahrhundert, wurde das Einhalten einer konstanten Länge für die Stunde machbar.[6] Später erfolgte der Bau großer Kalenderuhren, die in und an öffentlichen Gebäuden angebracht wurden. Im 16. Jahrhundert verordnete die Kirche unter Papst Gregor XIII eine Kalenderform, die dem Kalender zum ersten Mal die bis heute überdauernde Form gab.[7]
Der Kalender der, mit dem Wissen über die Jahreszeiten, überlebenswichtig war, bleibt bis heute zentral für die Zivilisation. Geburtstage, Feiertage, Schulferien, Trauertage und Beerdigungen. Alles hat in einem Kalender seinen Platz. Und das schon seit Jahrtausenden.
Mit dem Berufsalltag gibt es eine Vielzahl von Terminen, die der Vormerkung in einem Kalender bedürfen. Noch vor wenigen Jahren war der gebundene Taschenkalender nicht wegzudenken. Dünne Seiten, gebunden in einem Buch, das jedes Jahr erneuert wird und nicht nur als Gedächtnisstütze und Planungshilfe dient, sondern auch als stilles Dokument vergangener Erlebnisse. Branchen- und milieuabhängig haben sich rund um den Jahres-, Wochen- und Tagesplaner eigene Subkulturen gebildet. Kalligrafie, Sticker und Pastellfarben in selbstgeschriebenen Spalten, Kugelschreiber auf gelblichem Papier oder Edding auf einem Wandkalender. So ist der Füllgrad des eigenen Kalenders ein Statussymbol und der Einfluss über die Termine ein Machtfaktor, während das ordentliche Führen desselben eigener, eingespielter Zeremonien bedarf und einen ganzen Berufszweig geboren hat. Der Werbekalender bleibt eine beliebte Maßnahme in der Markenbildung. Bis heute hängen in Garagen weltweit Kalender, deren Papier längst vergilbt, während andere sorgfältig in einer Kiste im Keller aufbewahrt werden. Nach wie vor sind Fotokalender beliebte Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke – gerne auch mit eigenen Urlaubsfotos. So werden aus diesen Kalendern über die Zeit kostbare Erinnerungen, durch die Bilder, die schönen Anlässe und ihre Position als Kunstwerke an den Wänden der Lebensräume.
Jahreszeiten, Monate und das Uhren-Lesen gehören zu den ersten Dingen, die in der formalen Bildung erworben werden. Sie sind fundamentale Bausteine für das Verständnis von Zeit, der Geschichte und der Welt, die den Menschen umgibt. Von Steinkreisen über Wandmalereien, Schuldenbücher und Uhrwerke bis zu Taschenkalendern und Software-Lösungen von heute hat der Umgang mit dem Kalender sich stetig mit der Technik seiner Zeit weiterentwickelt. Er ist für den Alltag so grundlegend wie lesen, schreiben und rechnen. Und im Gegensatz zu diesen Kulturtechniken teilen sich den gregorianischen Kalender, zumindest in säkularen Dingen, fast alle Völker der Welt.
- [1] s. Schmidt, John D.; Lin, Chao; Bickerman, E. J.; Ronan, Colin Alistair; Wiesenberg, E. J.; Ziadeh, Nicola Abdo; Proskouriakoff, Tatiana; Buitenen, J.A.B. van: calendar. In Encyclopaedia Britannica. URL: https://www.britannica.com/science/calendar#ref59342 (Stand: 8.2.2023).
- [2] a. a. O., URL: https://www.britannica.com/science/calendar/Time-determination-by-stars-Sun-and-Moon (Stand: 8.2.2023).
- [3] a. a. O., URL: https://www.britannica.com/science/calendar/Time-determination-by-stars-Sun-and-Moon#ref59345 (Stand: 8.2.2023).
- [4] s. »Kalendarium« auf Duden online. URL: https://www.duden.de/node/63917/revision/697830 (Stand: 8.2.2023).
- [5] s. Die Redakteure der Encyclopaedia Britannica: Roman republican calendar. In: Encyclopaedia Britannica. URL: https://www.britannica.com/science/Roman-republican-calendar (Stand: 8.2.2023).
- [6] s. Schmidt, John D.; Lin, Chao; Bickerman, E. J.; Ronan, Colin Alistair; Wiesenberg, E. J.; Ziadeh, Nicola Abdo; Proskouriakoff, Tatiana; Buitenen, J. A. B. van: calendar. In: Encyclopaedia Britannica. URL: https://www.britannica.com/science/calendar#ref59342 (Stand: 8.2.2023).
- [7] s. Die Redakteure der Encyclopaedia Britannica: Gregorian Calendar. In: Encyclopaedia Britannica. URL: https://www.britannica.com/science/Gregorian-calendar (Stand: 8.2.2023).