Auch die Infor­ma­tik »besorgt« sich Begrif­fe aus den Sozi­al- und Geis­tes­wis­sen­schaf­ten und defi­niert sie um, hier aller­dings wie­der recht prä­zi­se: So wird der Begriff »Onto­lo­gie« in der Phi­lo­so­phie in der ursprüng­li­chen Bedeu­tung von der Leh­re vom Sein und Sei­en­den gebraucht,[9] in der Infor­ma­tik bezeich­net er hin­ge­gen die Zusam­men­stel­lung von Varia­blen, deren Wer­te­be­rei­che und seman­ti­sche Bedeu­tun­gen, z. B. bei einer Daten­bank oder bei einer Trai­nings­men­ge von Daten für ler­nen­de Künst­li­che Intel­li­genz.[10]

Durch sol­che Prak­ti­ken der Begriff­su­s­ur­pa­ti­on erge­ben sich Hom­ony­mi­en, also wech­seln­de Bedeu­tun­gen für gleich­lau­ten­de Aus­drü­cke, je nach dem, in wel­chem fach­li­chen Kon­text sie ver­wen­det wer­den.[11] Beim Trans­fer von einem Kon­text in den ande­ren borgt man sich oft­mals mit dem »frem­den« Begriff nicht nur den gleich­lau­ten­den Aus­druck, son­dern auch, trotz ver­än­der­ter Seman­tik, die Kon­no­ta­ti­on des Gebrauchs mit aus. So soll wohl durch den Gebrauch natur­wis­sen­schaft­lich klin­gen­der Begrif­fe, z. B. in der Tie­fen­psy­cho­lo­gie, in der Eso­te­rik, auf dem Gebiet der »stu­dies«, aber auch viel­fach in der Sozio­lo­gie deren ursprüng­li­che Prä­zi­si­on etwas Glanz in das eige­ne Fach her­über­brin­gen. Dies ist ein har­ter Vor­wurf, den Alan Sokal in sei­nem Buch »Ele­gan­ter Unsinn« erho­ben und dort auch mit vie­len Bei­spie­len unter­mau­ert hat.[12]

Nach die­sem etwas eher anek­do­ti­schen Vor­spiel kön­nen wir zusam­men­fas­sen: Begrif­fe, die aus ande­ren Berei­chen gelie­hen und im eige­nen Bereich umde­fi­niert wer­den, neh­men immer eine gewis­se Rest­se­man­tik aus dem ursprüng­li­chen Bereich mit, was zum Teil beab­sich­tigt ist. Ver­wir­rung kann nur ver­mie­den wer­den, wenn der Begriffs­ge­brauch im neu­en Kon­text hin­rei­chend prä­zi­se defi­niert wird. Skep­sis ist gebo­ten, wenn die Rest­se­man­tik des Begriffs im neu­en Bereich einem Euphe­mis­mus dient. Dann begin­nen die seman­ti­schen Nebel­ker­zen, die zumeist auf einen Hin­weis auf zu ver­schlei­ern­des Inter­es­se des Begriffs­be­nut­zers geben könnten.

Nach die­ser Vor­be­rei­tung kön­nen wir an den Begriffs­ge­brauch des Wor­tes »Dis­rup­ti­on« näher betrachten.

Eine per­sön­li­che Bemer­kung sei zuvor noch ange­bracht: Ich habe mein Buch mit »KI und die Dis­rup­ti­on der Arbeit«[13] aus Mar­ke­ting­grün­den beti­telt. Dies war ein Feh­ler, der jetzt nicht mehr rück­gän­gig zu machen ist. Dies min­dert aber nicht die unten­ste­hen­de Begriffs­kri­tik, und damit stel­len die fol­gen­den Aus­füh­run­gen auch eine Selbst­kri­tik dar.

Anmer­kun­gen zu Kampfsprachen

Hier muss geklärt wer­den, wes­halb ich in der Über­schrift einen Begriff als Kampf­be­griff bezeich­ne. Kampf­be­grif­fe stam­men aus dem Voka­bu­lar von Kampf­spra­chen, Kampf­spra­chen fin­den sich beim Mili­tär, in der Wirt­schaft und in vie­len reli­giö­sen Tex­ten.[14] Es wer­den Dro­hun­gen aus­ge­sto­ßen, War­nun­gen aus­ge­spro­chen, und als nor­ma­ti­ve Bestand­tei­le Befeh­le erteilt und Gebo­te for­mu­liert. Die­se Äuße­rungs­ak­te, sei­en sie in Tex­ten oder Reden, bezie­hen sich auf den Hand­lungs­kon­text der Adres­sa­ten, ihre Anstren­gun­gen zu erhö­hen, kom­men­de Ver­än­de­run­gen zu akzep­tie­ren, soli­da­risch mit der Insti­tu­ti­on des Autors oder Spre­chers zu sein, Sub­or­di­na­ti­on zu üben, loy­al zu sein – kurz­um, sich als führ­bar zu erweisen.

Ein Kampf­be­griff stammt aus dem Voka­bu­lar der Kampf­spra­che, indem er die oben genann­ten Inten­tio­nen im ent­spre­chen­den Kon­text in einem Sub­stan­tiv zu sub­su­mie­ren ver­mag. Hier­zu gehö­ren nega­tiv kon­no­tier­te Begrif­fe wie Sün­de, Nie­der­la­ge, Plei­te, oder posi­tiv kon­no­tier­te wie Kor­rekt­heit, Erfolg, Gewinn, Sieg etc. Eine Kampf­spra­che kann direk­te Begrif­fe beinhal­ten, deren Bedeu­tung und kom­mu­ni­ka­ti­ve Funk­ti­on im rich­ti­gen Kon­text sofort ver­ständ­lich ist, sie kann aber auch trans­fe­rier­te und zuwei­len miss­brauch­te oder gestoh­le­ne Begrif­fe im obi­gen Sinn ent­hal­ten. Sie stel­len dann euphe­mis­ti­sche Umschrei­bun­gen von Sach­ver­hal­ten oder Inter­es­sen, die man nicht so klar benen­nen will, oder es sind aus­ge­lie­he­ne Begrif­fe aus ande­ren Kon­tex­ten, z. B. aus einem wis­sen­schafts­af­fi­nem Vokabular.

Mit bestimm­ten Begrif­fen kön­nen also durch­aus Inter­es­sen ver­schlei­ert wer­den, weil sie zunächst in ihrer ursprüng­li­chen inhalt­li­chen Bedeu­tung als akzep­ta­bel gel­ten kön­nen: Wer will kei­ne Ver­meh­rung des Wohl­stands, kei­ne bes­se­re Tech­nik, kein ange­neh­me­res Leben, kei­ne höhe­re Pro­duk­ti­vi­tät, kei­ne gestei­ger­te Effi­zi­enz? So ist der Begriff der Inno­va­ti­on zunächst posi­tiv kon­no­tiert, und Anstren­gun­gen für Inno­va­tio­nen gel­ten als för­de­rungs­wür­dig. Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on scheint eben­falls zumin­dest für jun­ge Men­schen, wirt­schafts­na­he Poli­ti­ker, die IT-Indus­trie und vie­le Sozio­lo­gen ein posi­ti­ver Begriff – was aller­dings ein Heer digi­tal über­for­der­ter Men­schen im Berufs­le­ben nicht so sieht.

Auch hier wird der »Kampf­auf­trag« deut­lich: Wir müs­sen alle gro­ße Anstren­gun­gen unter­neh­men, um die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on in allen Lebens­be­rei­chen hin­zu­be­kom­men. Dann wird das Leben leich­ter. Nach der Anstren­gung leuch­tet die Mor­gen­rö­te der Erleich­te­rung, die von vie­len als ein Erlö­sung vom Joch des Gewohn­ten und Erdul­de­ten erschei­nen mag.