Essay
Kreativitätstechniken als Topiken des Designs
Warum es Designern hilft, »Kreativität« theoretisch zu fassen
Einleitung
Kreativität ist ein, wenn nicht gar, der Kernbegriff in den Designdisziplinen. Kreativität und Design zusammenzubringen, stellt demnach einen Gemeinplatz dar, der hinreichend zum Klischee verkommen ist. Und obwohl Kreativität ein Kernbegriff im Design ist, scheinen die Gestaltungsdisziplinen wenig Mühe darauf zu verwenden, diesen Begriff zu bestimmen und gegen verwandte Begriffe wie Innovation, Schönheit oder Witz abzugrenzen. Daraus ergibt sich folgendes Problem: Für Designer gehört das Finden von neuen Lösungen und guten Ideen für überzeugendes Design zum täglich Brot. Unter dem Verdikt eines mithin emphatischen Selbstverständnisses als »kreativ« stehen Gestalter allerdings oftmals in einem zwiespältigen Verhältnis zu einer methodischen Findungslehre. Auf der einen Seite wird die eigene Kreativität betont, die angeblich nur eine Eigene sei, wenn nicht nur die gefundenen Resultate neu sind, sondern auch die Findungswege, was eine methodische Anleitung als unkreativ erscheinen lässt; auf der anderen Seite stellen Techniken der Ideen- und konkret der Bild-, Text- und Motivfindung sowohl den Gegenstand der Vermittlung an Designhochschulen dar als auch den Gegenstand gern benutzter Ratgeberliteratur und sogenannter Look-Books. Wir können also konstatieren: Durch die Omnipräsenz des Kreativitätsgebotes bei gleichzeitiger nahezu totaler Unterbestimmtheit innerhalb der Designdisziplinen entsteht der Eindruck einer Unvereinbarkeit von Kreativität und Technik (im Sinne einer techné).
Um diese vermeintliche Unvereinbarkeit wird es im Weiteren gehen und dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt:
a) Was kann unter einer Kreativitätstechnik verstanden werden? Die Antwort auf diese Frage wird vom Verständnis dessen, was als kreativ bezeichnet wird, abhängen. Dazu werden drei Bedeutungen von Kreativitätstechnik entwickelt werden.
b) Welchen Bezug haben diese Techniken zur Rhetorik? Hier wird es sowohl darum gehen, die Kreativitätstechniken in das Theoriegebäude der Rhetorik einzubetten, als auch darum, die Frage anzureißen, welche verschiedene Rollen Kreativität innerhalb der rhetorischen Praxis zukommen können.
c) Schließlich soll der Versuch gemacht werden, konkrete Arbeiten zu Kreativitätstechniken aus dem Bereich Design, in die hier zu treffenden Unterscheidungen zu integrieren. Gibt es Beispiele für die hier unterschiedenen Kreativitätstechniken aus den Designbereichen?
Rhetorische Bestimmung der Kreativität
Zuerst soll hier der Frage nachgegangen werden, was überhaupt unter Kreativitätstechniken verstanden werden kann. Dabei wird eine Antwort auf diese Frage offensichtlich stark davon abhängen, wie Kreativität innerhalb der Rhetorik bestimmt werden kann. Es werden dazu im Weiteren zwei logisch voneinander unabhängige Konzepte von Kreativität vorgestellt:
1. Kreativität als Zuschreibungspraxis
2. Kreativität als Erkenntnisinstrument
Hinzu kommt ein drittes genuin rhetorisches Kreativitätsverständnis, dessen kreatives Potential auf der zweiten Bestimmung (Kreativität als Erkenntnisinstrument) beruht.
Kreativität als Zuschreibungspraxis
Schaut man sich Bestimmungen des Kreativitätsbegriffes genauer an, so fällt auf, dass Kreativität zumeist bereits eine Publikumsorientiertheit voraussetzt. Preisers Bestimmung der Kreativität durch die Eigenschaften Neuheit, Sinnhaftigkeit und Akzeptanz integriert insbesondere durch die Akzeptanzeigenschaft das Publikum maßgeblich zur Bestimmung des Begriffes. Auch Knapes Forderung nach Tauglichkeit[1] der Ergebnisse des kreativen Prozesses geht in diese Richtung und desgleichen Sternbergs Forderung nach Unerwartetheit der Ergebnisse. Matthäus bestimmt Kreativität als eine sechstellige Relation: »Die im Rahmen R zum Produkt P führende Handlung H des Individuums I wird vom Beurteiler B im Hinblick auf ein System S von Erwartungen und Zwecken als kreativ eingestuft.« K(R,P,H,I,B,S). Vom rhetorischen Standpunkt aus scheint die Frage, welche Rolle Kreativität in der Rhetorik spielt, daher trivial beziehungsweise bereits durch die Bestimmung des Kreativitätsbegriffes vorausgesetzt. Denn wenn stets das Votum eines Publikums entscheidend für Kreativität ist, dann gehört Kreativität klarer Weise in den Raum rhetorischer Vermittlungspraxis. Und wenn Kreativität durch die Akzeptanz der Relevanz einer neuen Problemlösung durch ein Publikum bestimmt wird, dann wird Kreativität schlichtweg mit persuasivem Erfolg gleichgesetzt. Zudem macht gerade Matthäus sechsstellige Relation deutlich, dass Kreativität allein über das Publikum definiert ist und eben nicht über einen Eigenschaft eines Individuums oder Produktes. Da Kreativität hier immer als eine Zuschreibungspraxis eines Publikums verstanden wird – und eben nicht als eine Eigenschaft eines Orators – kann auch der systematische Ort innerhalb des Theoriegebäudes der Rhetorik näher bestimmt werden, in welchem Kreativität zum Tragen kommt. Als Zuschreibungspraxis fällt Kreativität eindeutig in den Bereich des Ethos und eben nicht der Inventio. Da Kreativität als Zuschreibungspraxis kein Instrument, insbesondere kein Erkenntnisinstrument oder heuristisches Werkzeug, darstellt, sondern ein konkretes Überzeugungsmittel, spielen zwar Überlegungen zur besseren Inszenierung von Kreativität eine wichtige Rolle innerhalb der Inventio, nicht aber kann Kreativität in diesem Stadium eine Rolle spielen. Wie sollte sie auch? Wenn Kreativität erst durch die Zuschreibung entlang bestimmter Akzeptanzbedingungen eines Publikums zustande kommt, steht sie dem Orator in der Phase der Inventio – wenn dieser beispielsweise allein über seinem Schreibtisch brütet – noch gar nicht zur Verfügung.