Essay
Kunst oder Design?
Zur Abgrenzungsproblematik bei ästhetischen Artefakten
Im Folgenden werde ich mich der Frage zuwenden, wie Design und Kunst bzw. Design- und Kunstartefakte voneinander zu unterscheiden sind. Zur Disposition steht dabei insbesondere ein Kriterium der Unterscheidbarkeit, das der Funktionalität. Einer weit verbreiteten Meinung zufolge, besteht der Unterschied zwischen Design und Kunst nämlich in erster Linie darin, dass Design einer bestimmten Zweckerfüllung unterliegt, der sich die vermeintlich autonome Kunst entzieht. Designartefakte sollen sich dieser »Funktionsthese« zufolge nicht wie Kunstobjekte an äußerlichen, ästhetischen Gesichtspunkten alleine, sondern insbesondere hinsichtlich ihrer praktischen Funktionen in ästhetischer Hinsicht bemessen lassen. Sicherlich haben die Entwicklungen der letzten sechs Dekaden in der Kunst und im Design zu einer derartigen Annäherung beider Seiten und Auflösung ihrer vermeintlich speziellen Kategorien geführt, dass auch die Funktionalität des Designs als ihr Alleinstellungsmerkmal nicht ohne Kritik geblieben ist. Dennoch darf festgestellt werden, dass selbst in Fachkreisen, wenn es um Fragen der Unterscheidung beider Artefakt-Bereiche geht, immer wieder auf die Kategorie der Funktionalität im Design angespielt wird. Ich möchte mit diesem Essay versuchen zu erhellen, wieso Funktionalität im Design zwar ein relevantes Kriterium ist, dieses als Unterscheidungsmerkmal im Zusammenhang der Bewertung ästhetisch bedeutsamer Artefakte jedoch nicht hinreicht. Ich werde daher zeigen, dass die Kunst neben einer Vielzahl an Funktionen auch solche in der für das Design beanspruchten Art und Weise umfasst, was es mir weiterhin ermöglicht, die ursprüngliche Frage nach dem Differenzierungsmerkmal als eine solche nach dem Unterschied im beiderseits zur Anwendung kommenden Funktionsbegriff zu stellen.
1 Kunst und Design als ästhetisch bedeutsame Artefakte: Die Rolle semiotischer Systeme und des kunstästhetischen Werts
Ich möchte meine Ausführung zunächst mit der Frage beginnen, was Kunst- und Designartefakte eigentlich sind und worin eventuelle Gemeinsamkeiten bestehen könnten. Ausgehend hiervon wird es möglich, den Kernaspekt hinsichtlich ihrer beider Funktionalitäten mit Blick auf die Rolle semiotischer Systeme am Identifizierungsprozess bereits ansatzweise vorskizzieren zu können.
Kunst- und Designobjekte sind beides vom Menschen entworfene und produzierte Artefakte, die es hinsichtlich ihrer Genese also zunächst von natürlichen Entitäten wie Bäumen und Sonnenuntergängen zu unterscheiden gilt. Weiterhin sind sie beide in ästhetischer Hinsicht bedeutsame Artefakte. Grundsätzlich können sämtliche Objektbereiche vom Menschen in ästhetischer Hinsicht erfahren werden, deshalb sind selbstverständlich auch natürliche Entitäten und selbst noch so einfache, technische Gebrauchsutensilien wie Autoreifen und Mixer unter ästhetischen Gesichtspunkten wahrnehmbar. Das allerdings macht sie noch lange nicht in ästhetischer Hinsicht für uns bedeutsam. Kunst- und Designartefakte dürfen in diesem Sinne als ein »Sonderfall« aufgefasst werden. Das Besondere ist der Identifizierungsprozess von Kunst- und Designgegenständen als ästhetisch bedeutsame Artefakte. Um ein Artefakt nämlich als ein in ästhetischer Hinsicht relevantes Objekt, also als ein Kunst- bzw. Designobjekt, zu identifizieren, muss man auf bestimmte ästhetische Zeichensysteme zurückgreifen. Kunst- und Designobjekte lassen sich demnach als Zeichen verstehen, und zwar als solche, die bestimmte ästhetische Merkmale tragen, welche sich im Rückgriff auf die Zeichensysteme als relevant herausstellen lassen. Solche Merkmale können beispielsweise Aspekte der Formgebung, der Oberflächenbehandlung, der Materialverarbeitung, des Farbauftrags oder der Rahmung usw. betreffen. Was in der speziellen Debatte um die Differenzierung von Kunst und Design hinsichtlich der Rolle semiotischer Systeme im Identifizierungsprozess häufig nicht explizit gemacht wird, ist, dass sich die Kategorisierung von ästhetisch bedeutsamen Gegenständen als Design- oder Kunstgegenstände nicht mit der Feststellung derartiger ästhetischer Merkmale ergibt. Um einen Gegenstand als Kunst oder Design im Rückgriff auf semiotische Systeme zu erschließen und zu bewerten, bedarf es der Eruierung des kunstästhetischen Gehalts oder Werts des jeweiligen Artefakts[1]. Der kunstästhetische Wert von Designartefakten, aber eben auch von Kunstgegenständen, ergibt sich in diesem Zusammenhang aus dem Verhältnis des am ästhetischen Merkmal zu Tage tretenden künstlerischen Ausdrucks zu anderen nicht äußerlichen Aspekten, das sind im Speziellen die Funktionen des jeweiligen Wertträgers.[2]
- [1] vgl. hierzu die Unterscheidung von ästhetischem Wert und künstlerischem Wert bei Schellekens, Elisabeth: Aesthetics and Morality. London, New York 2007. v.a. S. 37. sowie 41ff.
- [2] Diese Tatsache wird, wie ich bereits vermerkt hatte, in den Ausführungen zum Thema semiotischer Systeme im Zusammenhang von Kunst- bzw. Designkategorisierungen wenig deutlich gemacht. So m. E. auch bei Jakob Steinbrenner und dessen ansonsten sehr dezidierten Überlegungen zur Zeichenbedingtheit von Kunst und Design. Vgl. Steinbrenner, Jakob: Wann ist Design? In: Nida-Rümelin, Julian; Steinbrenner, Jakob (Hg.): Ästhetische Werte und Design. Frankfurt 2010. S.16f.