Ich werde die Überlegung zum kunstästhetischen Wert von Kunst- und Designartefakten und hierbei vor allem jene des damit zusammenhängenden Funktionalismus im weiteren Verlauf des Essays untermauern. An dieser Stelle genügt es, diesen Aspekt an einem Beispiel aus dem Bereich der Kunst kurz zu veranschaulichen. Ein sehr prominentes Beispiel dafür, dass es für die Zuordnungsmöglichkeit von ästhetisch bedeutsamen Artefakten als Kunstgegenstände auf mehr ankommen muss als nur auf die äußerlichen in ästhetischer Hinsicht identifizierbaren Merkmale, ist Marcel Duchamps Arbeit »Fontain« aus dem Jahre 1917. Das Ready-made besteht aus einem einfachen, handelsüblichen Urinal, weshalb es selbstverständlich auch die gleichen äußerlichen Eigenschaften wie ein solches Urinal aufweist. Was es ermöglicht, das eine jedoch als Kunst und das andere als einen herkömmlichen Gebrauchsgegenstand zu identifizieren, ist in den Worten Dantos ausgedrückt, dass »das Werk [Fontain zudem] Eigenschaften besitzt, die dem [handelsüblichen] Urinal fehlen: es ist gewagt, unverschämt, respektlos, witzig und geistreich. […] was Duchamp zum Wahnsinn oder zum Mord getrieben hätte, wäre der Anblick von Ästheten gewesen, die geistesabwesend über die glänzenden Oberflächen des Objekts brüten, […] [D]ie Eigenschaften, die das in die Kunstwelt gestellte Objekt besitzt, hat es mit den meisten Stücken der industriellen porcelainerie gemeinsam; die Eigenschaften, die Fontaine als Kunstwerk besitzt, hat es mit dem Grabmal für Julius II. von Michelangelo […] gemeinsam.«[3] Kunst und ebenso Design bilden vor diesem Hintergrund spezielle Zeichensysteme aus, die ein Reservoir an sämtlichen Informationen über Kunst- und Designkultur bereithalten, an denen sich im Idealfall jedes neue Kunstwerk und jedes neue Design messen lassen muss und ästhetisch bedeutsame Artefakte in ihrem spezifisch kunstästhetischen Wert überhaupt erst verständlich werden können.[4] Dass wir in unseren Zuordnungsfähigkeiten bei Kunst- und Designartefakten abhängig sind von zeichenbedingten Prozessen, zeigt übrigens schon alleine die Tatsache, dass Kinder nicht in der Lage sind, Design- oder Kunstgegenstände zu erkennen beziehungsweise sie von anderen Gegenständen zu unterscheiden. Ein Thonet-Freischwinger-Stuhl hat für ein Kind denselben Wert wie ein in jedem Möbelgeschäft erhältlicher Holzstuhl mit Flechtwerk. Der Grund ist schlicht der, dass Kinder noch nicht gelernt haben, diese Gegenstände als Zeichen mit weiterer Bedeutung zu füllen, was für die Konstitution des kunstästhetischen Werts von Kunst und Design und in diesem Zusammenhang besonders für deren Unterscheidbarkeit zwingend erforderlich ist.
2 Funktionalismus- und Autonomiethese
Es ist also deutlich geworden, dass man ästhetisch bedeutsame Artefakte als Kunst- und Designgegenstände innerhalb von spezifischen, nämlich kunstästhetischen Zeichensystemen identifiziert. Stellen wir dabei nun für einen kurzen Moment hintan, was bereits vorneweg in diesem Zusammenhang konstatiert werden konnte, dass nämlich Funktionen einen relevanten Anteil am Identifizierungsprozess nicht nur von Design-, sondern besonders auch von Kunstartefakten nehmen. Stattdessen werfen wir einen Blick auf die Leitfrage dieses Aufsatzes, was es mit der Funktionsthese im Design auf sich hat und wie diese mit der Autonomiethese der Kunst zusammenhängt.
Anhänger der Funktionsthese meinen ein ganz spezielles Kriterium ausgemacht zu haben, mit dem sie zwischen Kunst und Design innerhalb der zeichenhaften Zuordnungsprozesse unterscheiden können. Dieses relevante Kriterium der Differenzierung liege im Entstehungsprozess von Design begründet. Bei Design stehe demnach bereits bei der Herstellung eines Artefakts im Vordergrund, dass es später eine ganz bestimmte Funktion im Umgang des »Users« mit diesem erfüllen solle. Für die zeichenbedingten Zuordnungsprozesse bedeutet dies, dass man ein Artefakt nur dann als Design-Artefakt identifizieren kann, wenn es also Funktionsmerkmale aufweist, die unter formal-ästhetischen Gesichtspunkten ausgearbeitet wurden. In der identifizierenden Beurteilung des Designartefakts geht es also um das Funktionsmerkmal hinsichtlich seiner künstlerischen Umsetzung. Soweit gut. Der Funktionsthese im Design korrespondiert jedoch auf der anderen Seite die Annahme, dass Kunstobjekte keinerlei Ausrichtung auf eine Funktionserfüllung aufweisen. Weder unterliege ihr Entstehungsprozess bestimmter teleologischer Zwecksetzungen, noch sei das Endprodukt Kunst gemäß dieser so genannten Autonomiethese an die Erfüllung von bestimmten Funktionen gebunden. In der autonomen, sogenannten funktionsfreien Kunst, solle es vielmehr um den reinen künstlerischen Ausdruck gehen, also letztlich aus Sicht des Rezipienten um eine Einordnung und Bewertung aufgrund äußerlicher Merkmale des Artefakts alleine und nicht hinsichtlich von Funktionen und deren ästhetischer Umsetzung. »L’art pour l’art« ist hier das Schlagwort; die Kunst sei sich sozusagen selbst Zweck genug. Für den weiteren Verlauf dieses Essays ist es nun wichtig zu verstehen, dass die Funktionsthese im Design nur dann das »wahre« Kriterium der Unterscheidung zwischen Kunst und Design in Anschlag bringt (was ja von ihren Verfechtern behauptet wird), wenn auch die Autonomiethese von der funktionslosen Kunst zutrifft bzw. angenommen wird. Wer also ein Anhänger der Funktionsthese im Design ist, muss gleichzeitig ein Vertreter der Autonomiethese in der Kunst sein. Sollte nachgewiesen werden können, dass die Kunst Funktionen erfüllt, geht nämlich auch das Kriterium der Funktionalität als einem Alleinstellungsmerkmal im Design bzw. als einem »wahren« Unterscheidungsmerkmal von Kunst und Design fehl. Genau dies versuche ich im Folgenden aufzuzeigen. Vorab möchte ich jedoch in einem kurzen Exkurs einen Blick auf die Prozesse der Ausarbeitung von Design und Kunst in unserer heutigen Gesellschaft werfen, um noch einmal deutlich zu machen, wieso die Frage nach der Differenzierung von Kunst und Design so aktuell und brisant ist.