Essay
Kunst und Technik – und dazwischen der Tonmeister
Über Musikrhetorik und Aufnahme
Ich bin gebeten worden, mir ein paar Gedanken über die Rolle des Tonmeisters zu machen.[1] Um die Frage im Titel gleich vorweg zu beantworten: Der Sitz des Tonmeisters ist nicht zwischen Birke und Borke, er ist nicht zwischen Kunst und Technik angesiedelt, sondern er hat an beiden Bereichen Anteil, es handelt sich um eine Teilhabe.
Wenn wir von Kunst und Technik reden sollen, so müssen wir wohl zuerst bei der Kunst anfangen, und ich beschränke mich hier der Kürze halber auf die Kunst der Musik. Mit dieser Kunst haben Tonmeister ja sehr viel zu tun. Um welche Kunst also handelt es sich bei der Musik?
Musik als Sprache
Abbildung 1 zeigt einen Rhapsoden, einen Erzähler, und er hat zur Unterstützung seiner Erzählung eine Lyra dabei, also ein Instrument mit ein paar Seiten, die er wahrscheinlich nach der pythagoreischen Tonleiter gestimmt hat. Der Rhapsode ist der Geschichtenerzähler. Zunächst tut er dies mündlich und erzählt es so, wie es ihm einfällt und wie er die Geschichte im Gedächtnis hat. Um die Wirkung etwas zu verstärken, aber auch um seine Geschichte besser memorieren zu können, benutzt der Rhapsode – das beginnt zeitlich ungefähr kurz vor Homer – eine rhythmisierte Sprache:
Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
welcher soweit geirrt nach der heiligen Troja Zerstörung.[2]

Abb. 1: Rhapsode, Berlin Painter; Terracotta-Amphore, ca. 490 v. Ch.; Griechenland. The Metropolitan Museum of Art, New York, Fletcher Fund, 1956 (56.171.38)
http://www.metmuseum.org/Collections/search-the-collections/254896.
Dieser Rhythmus in der Sprache bestimmt, ja erzwingt dann das Versmaß. Dieser Rhythmus spielt auch eine sehr große Rolle später bei den Liedern, die die Arbeit begleiten – das Repetitive im Rhythmus von Arbeitsschritten findet sich sodann im Rhythmus, zum Beispiel beim Rudern im Boot, bei den Schritten des händischen Transports oder beim Hämmern.
Es sind also Rhythmus und Versmaß, die zunächst bestimmen, wie der Rhapsode seine Vorstellung macht. Um die Wirkung des Ganzen noch zu verstärken, kommt der melos hinzu, d. h. die Melodie, gleichsam die Phrasierung, also das, was den Bogen in der Erzählung ausmacht und dann mit der Tonhöhe und deren Veränderungen entsprechend unterstützt. Der tonus rectus in den liturgischen Gesängen der Weltreligionen hat dieselbe Funktion.
Der nächste Schritt besteht darin, dass der Rhapsode sich ein Instrument zulegt und sich selbst zu seinem Gesang begleitet. »Iljas« und »Odyssee« sind von Homer in Gesänge aufgeteilt worden. Zum einen gliederte dies den Stoff, zum anderen erleichterte der Sprachrhythmus (Hexameter, Pentameter) dem Erzähler das Memorien des Stoffs. Nun kommt das Instrument hinzu und begleitet die Erzählung. Wir beobachten die Trennung von melos und dem, was sprachlich sich ereignet: Es entsteht das Lied. Das Lied war anfänglich immer eine Erzählung, aber es muss heute nicht immer eine explizite Erzählung sein. Die Stimme wird nun selbst zum musikalischen Produzenten. Dies ist die Trennung von melos und von der Prosodie, d. h. der sprachlichen Ausdrucksweise, und sie macht die Melodie eigenständig.
In der nächsten Stufe der Entwicklung macht sich nun auch das Instrument selbstständig, es reißt den melos an sich, und es beginnt die Phase der instrumentellen Musik. Nun beginnen sich Musik, aber auch die Instrumente zu entwickeln und damit die dazugehörige Technik.