»Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nemlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: So können neben einander geordnete Zeichen, auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen aber, auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen.
Gegenstände, die neben einander oder deren Teile neben einander existieren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei.
Gegenstände, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.«[3]
Lessing setzt sich mit dieser Auffassung bewusst von der klassischen Kunsttheorie ab, insbesondere von Horaz. Dessen berühmtes Diktum »ut pictura poesis«[4] war über Jahrhunderte als Gebot für die Literatur verstanden worden, sich in ihrer Darstellungsweise an den bildenden Künsten zu orientieren. Während Lessings »Laokoon« damit zur Emanzipierung der Literatur beitrug, hat er doch auch den Weg bereitet für die spätere Trennung zwischen den sprachlich-rhetorischen und den bildlichen Künsten, die zuvor noch stärker als zusammengehörig und aufeinander bezogen aufgefasst worden waren.
Bezeichnenderweise fällt diese Entwicklung in der Zeit der Aufklärung zusammen mit einem weiteren einschneidenden kunsttheoretischen Wandel: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts formierten sich Strömungen – wieder war Lessing beteiligt, außerdem die Vertreter des Sturm und Drang –, die sich gegen die Regelpoetiken etwa eines Johann Christoph Gottsched[5] wandten und Vorstellungen wie die der Kunstautonomie und des Originalgenies propagierten. Die darauf beruhende Kunst war nicht orientiert an autoritativen Vorgaben, sondern sollte sich ihre Regeln qua Inspiration, Eigenschöpfertum und Innovation selbst schaffen. Damit einher geht die Absage an die intersubjektive Lehrbarkeit mittels tradierter Regelwerke, die – und damit schließt sich der Bogen zu Nadia J. Kochs Ausführungen – auf dem klassischen Konzept der techne fußt.
- [3] Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. In: ders.: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hrsg. v Wilfried Barner u. a. Bd. 5⁄2. Frankfurt am Main 1985—2003. S. 116.
- [4] Horaz: Ars poetica, V. 361.
- [5] vgl. Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig 1730.