Ein einfaches Bespiel für die Bedeutung eines Vokabulars und geprüfter Theorien für eine Disziplin: Jemand wird von heftigen Unterleibsschmerzen geplagt. Der hinzugerufene Hausarzt diagnostiziert eine »Appendizitis«, eine akute Blinddarmentzündung, und veranlasst eine Einweisung in ein Krankenhaus. Dort wird der Patient rasch operiert. Wenn er aus der Narkose aufwacht, kann er relativ sicher sein, dass ihm nicht das rechte Bein amputiert, sondern eben nur der Blinddarm entfernt worden ist. Der eine Arzt hat dem anderen Arzt offenbar eine eindeutige Information übermittelt. Warum gelingt in der Regel unter Medizinern diese Informationsübermittlung? Weil die Mediziner über ein etabliertes Fachvokabular verfügen, sie sprechen die gleiche Sprache. Ein gesicherter Begriffsapparat ist Kennzeichnen einer Disziplin und die Basis einer jeden Methode. Solch ein Begriffsapparat vereinfacht den Austausch über das Denken, das die Angehörigen einer Disziplin vorantreiben, und gibt den Könnern, den Artisten in einer Disziplin, die Möglichkeit, gekonnt zu jonglieren.
Verfügen Designer über ein etabliertes Fachvokabular? Sollten sie das überhaupt? Wenn ja: Woher könnten sie es beziehen? Die letzte Frage lässt sich meines Erachtens klar beantworten: Designer können ein etabliertes Fachvokabular beziehen aus der Rhetorik. Die Rhetorik ist nicht, wie der Volksmund vermutet, die Kunst, jemandem ein Kotelett an die Backe zu quatschen; die Rhetorik ist die älteste und am weitesten ausgebaute Kommunikations- und Argumentationstheorie. Die Rhetorik hat gegenüber vielen Theorien den Vorzug, eine enge Anbindung an die Praxis zu haben, sich auf die Praxis zu beziehen, sich mit ihr in Wechselwirkung zu entwickeln.
Einer der wichtigsten Untersuchungsgegenstände der Rhetorik ist die Frage, wie wir mit kommunikativen Mitteln Wirkung erzielen können. Die Frage nach der Persuasion, die Frage, wie wir überzeugen, wie wir mit kommunikativen Mitteln Wirkung erzielen, untersucht die Rhetorik schon seit langem und ist dabei zu detaillierten Ergebnissen gekommen. Sollten sich Designer, zumal Kommunikationsdesigner, erlauben, dieses Wissen brachliegen zu lassen, dieses Wissen nicht für ihre relativ junge Disziplin zu nutzen? Nein, Designer sollten dieses Wissen nicht brachliegen lassen, ganz im Gegenteil, Designer sollten dieses Wissen nutzen, Designer sollten zu Rhetorikern werden oder sich doch zumindest intensiv mit Rhetorik beschäftigen.