Was kann Gestaltern die intensive Beschäftigung mit Rhetorik einbringen? Ein paar Beispiele möchte ich anführen:
Die Rhetorik kann als älteste Kommunikationstheorie begriffen werden[3]; so ausgelegt lassen sich Erkenntnisse der Rhetorik auf viele Designdisziplinen übertragen[4], und so ausgelegt kann die Rhetorik entscheidende Beiträge zur Designtheorie leisten und Impulse für die Designforschung setzen:
- Die Rhetorik hat ein Modell für kreative Prozesse entwickelt, das sich – mit moderaten begrifflichen Präzisierungen – auf den Entwurfs- und Gestaltungsprozess im Design anwenden lässt.[5] Tafel 1 zeigt oben in ihrer Abfolge von links nach rechts die fünf Stadien, die der Redner bei der Erarbeitung einer Rede durchläuft (mit »Rhetorischer Prozess« überschrieben); unten zeigt Tafel 1 meinen Vorschlag, wie dazu parallel der Designprozess beschrieben werden kann.
Die vierte Stufe des rhetorischen Prozesses wird mit »memoria« bezeichnet und dient der Verinnerlichung dessen, was man im Vortrag zu Gehör bringen möchte. Für den Gestalter ist sicher auch sinnvoll, die zu haltende Präsentation vorher zu verinnerlichen. Im Gestaltungsprozess sehe ich die vierte Phase aber als eine Prüfphase an, in der die Gestaltung auf ihre Schlüssigkeit hin durchgegangen wird. Dies dient auch der Verinnerlichung, und die Verinnerlichung selbst dient wiederum der Prüfung.
- Die in der Rhetorik detailliert ausgearbeitete Formen- und Stillehre (Figuren, Tropen) harrt der umfassenden Übertragung auf Formen und Stile im Design (nicht allein im Kommunikationsdesign, sondern generell in den Gestaltungsdisziplinen). Zu dieser Übertragung möchte »Sprache für die Form« einen Beitrag leisten. Die Einsendungen, die wir uns für die »Stilfrage« erhoffen, sollen mittel- und langfristig zu einer Sammlung der Stilmittel im Design werden und zudem die Grundlage für eine systematische Auswertung und Analyse dieser von Gestaltern eingesetzten Stilmittel schaffen.
- Ein Strang der Rhetorik hat sich seit dem 20. Jahrhundert besonders der Erforschung von Massenkommunikation und Massenkonsum gewidmet und bildet dabei eine Ergänzungsdisziplin zur Semiotik.[6] Ein zentraler Begriff der Rhetorik ist dabei die »Persuasion« (Überzeugung). Es wird gefragt, wie Kommunikation Wirkung erzielt und überzeugt – und nicht allein verbale Kommunikation, auch andere Zeichen werden hinsichtlich ihrer Wirkung untersucht. Dabei wird der Appellfunktion einer Botschaft besonderes Augenmerk geschenkt und gefragt, ob sie an Logos, Ethos oder Pathos appelliert. Ein Logos-Appell wendet sich an den Intellekt, wirbt mit Vernunftgründen, mit rationalen Argumenten; ein Ethos-Appell wendet sich an das moralische Empfinden, wirbt mit den Charaktereigenschaften des Senders, der Glaubwürdigkeit eines Produktes; ein Pathos-Appell wendet sich an die Emotion, versucht Gefühle hervorzurufen – all das sind Aufgaben, die sich dem Gestalter in seiner Arbeit stellen, er entscheidet, auf welche Appellfunktion er den Schwerpunkt legt, um überzeugend zu kommunizieren.[7]
- Darüber hinaus ist die Rhetorik als Argumentationstheorie[8] ausgebaut worden, die sich auf die Praxis des Argumentierens ausrichtet. Designer sind in ihrer Arbeit zunehmend Begründungszwängen ausgesetzt; in der Argumentationstheorie der Rhetorik können sie für diese Aspekte ihrer Arbeit eine feste Basis finden.
- Damit in Verbindung steht, dass Gestalter immer auch aufgerufen sind, ihre Ideen, Entwürfe, Konzepte, Problemlösungen verbal zu vermitteln. In dieser Hinsicht spielt die Rhetorik als Redekunst mit ihrem Wissen über Didaktik und Motivation im Alltag von Designern eine große Rolle.
- Erkenntnisse der Bildrhetorik[9] sind generell bei der Bildanalyse, im Besonderen aber auch bei der Betrachtung von Bild-Text-Wechselwirkungen hilfreich.
- [3] Dieses Rhetorik-Verständnis wird umfassend dargelegt in: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Tübingen 1992–2011. (Erschienen sind 10 von 11 Bänden.)
- [4] vgl. Joost, Gesche; Scheuermann, Arne (Hg.): Design als Rhetorik: Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Basel 2008.
- [5] vgl. Joost, Gesche: Rhetorik. In: Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hg.): Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven des Design. Basel 2008. S. 352.
- [6] vgl. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. Kapitel 5: Die persuasive Botschaft: die Rhetorik. München 1972. S. 179ff.
- [7] »Kommunizieren« heißt nicht, sich allein verbalsprachlicher oder zeichenhafter Mittel zu bedienen; auch Produkte, generell Artefakte sind ein Kommunikationsangebot, das von diesen Appellen getragen wird.
- [8] Perelman, Chaim; Olbrechts-Tyteca, Lucia: Die neue Rhetorik. 2 Bd. Stuttgart 2004.
- [9] vgl. den Eintrag zu »Bildrhetorik« in: Ueding (1992), a.a.O., Bd. 1.