Trojanische Pferde: Die Instrumentalisierung von Geschichten
Fassen wir zusammen: Ja, wir lassen uns gern erzählen und wir haben auch etwas davon, unsere Zeit in den Konsum von Geschichten zu investieren. Das erklärt, warum wir selbst dann gespannt lauschen, wenn wir wissen, dass sie in einem werbestrategischen Kontext stehen. Tatsächlich zielen diese Geschichten aber nur vordergründig auf unsere Unterhaltung ab, denn im Bauch des trojanischen Pferdes lauert eine persuasive Absicht. Heißt: Eigentlich sollen wir durch die Geschichte von einem Produkt oder einer Haltung zu einer Marke überzeugt werden.
In der Rhetorik würde man in diesem Kontext von einer erzählerischen Argumentation sprechen.[8] Die Geschichte wird als ein Beweis für eine angestellte Behauptung angeführt. Damit wird die ursprüngliche Sprachhandlung der Narration »berichten« (erzählen) in »beweisen« (überzeugen) umfunktioniert.[9] Die Erzählung als strategisches Instrument zur Überzeugungsherstellung ist so effektiv wie perfide, weil es unsere urgegebene Affinität für Geschichten ausnutzt.
Zum einen haben sie einen unangefochtenen Stellenwert in unserem Alltag. »Die Story ist nicht unsere fruchtbarste Kunstform, sie konkurriert mit allen Tätigkeiten – Arbeit, Spiel, Essen, körperliche Betätigung – in unseren wachen Stunden«[10]. Zum anderen erzeugen gute Geschichten bei uns nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch ein hohes Maß an Anteilnahme. Sie haben die Fähigkeit, uns regelrecht in Beschlag zu nehmen. “We say that movies draw us in or immerse us. We get absorbed in a book or lost in a song.”[11] All diese Redewendungen legen nahe, wie sehr wir beim Rezipieren mit unseren Sinnen, Gefühlen und Gedanken involviert sind.[12] Das macht die Erzählung für die Unternehmenskommunikation zu einem wertvollen Instrument.
In dem vielzitierten Werk »Oralität und Literalität« legt der Anthropologe Walter J. Ong dar, dass Erzählungen in oralen Kulturen, also Kulturen, die noch nicht über ein Schriftsystem verfügten, als Wissensspeicher genutzt wurden.[13]. Durch ihre hohe Memorierbarkeit war man in der Lage, gesammeltes Wissen dauerhaft zu konservieren. Nach heutigen Forschungsergebnissen geht man davon aus, dass Menschen sich Erzählungen bis zu 22-mal besser merken können, als bloße Fakten – bestens geeignet also, um Markenbotschaften zu verankern.[14]
In Form von Geschichten wurde das Wissen jedoch nicht nur gebunden, durch sie ließ es sich auch an folgende Generationen weitergeben.[15] Ihre Viralität ist eine weitere vorteilhafte Eigenschaft der Erzählung. Als viral werden Inhalte bezeichnet, die an andere weitergegeben oder, die mit anderen geteilt werden. Dem hohen viralen Potential von Erzählungen waren sich die Menschen, wie Ong zeigt, schon früh bewusst, und auch Werbung und Marketing machen heute davon Gebrauch. Aus ihrer Sicht bieten virale Inhalte den Vorteil, dass nur eine kleine Gruppe an Konsumenten erreicht werden muss. Dahinter steckt folgendes Prinzip: Man zielt auf die Aufmerksamkeit einiger weniger ab, die trotz des Überangebotes an Werbung noch interessiert sind. Diese wenigen werden – wenn die richtigen Emotionen angesprochen werden – zu Multiplikatoren und verbreiten die Inhalte.[16]
Hat eine derartige Kommunikationsmaßnahme durch »viral sharing« erst einmal ein breites Publikum erreicht, werden die Massenmedien aufmerksam und ihrerseits zu Multiplikatoren. Wird nun in Zeitungen etc. über die Story berichtet, sind Glückwünsche angebracht. Die Markenbotschaft wird verbreitet, ohne dass dafür bezahlen hätte werden müssen; und noch dazu werden so neue Zielgruppen erreicht.[17] So geschehen im Falle der Lego-Imagine-Kampagne, anhand derer sich das aufgezeigte Schneeballprinzip nachvollziehen lässt.[18]
Anstatt für den direkten Zugriff auf ein Publikum zu bezahlen (Payed Media), wird immer öfter darauf gesetzt, sich die Aufmerksamkeit des Adressaten mit Storytelling zu verdienen (Earned Media).[19] Unternehmen schaffen eigene Kanäle (Websiten, Magazine, Youtubekanäle etc.), um ihre Inhalte selbst und damit kostengünstiger veröffentlichen zu können. Diese Kanäle können dann mit Stories angefüllt werden, die gezielt einzelne Produkte vorführen oder sogar ganze Markenportraits zeichnen.
Die Wunderlampe: Wie Produkte durch Geschichten emotionalen Wert gewinnen
Produktbezogene Erfolgsgeschichten helfen dabei, den Absatz eines Produktes anzukurbeln. Dabei ist es wichtig, der Zielgruppe möglichst authentisch und glaubwürdig den Nutzen den Produktes vor Augen zu führen. Der Spot »Philips Wake Up Light – Helping people wake up naturally in northern Norway« ist ein Beispiel einer solchen »Produktstory«. Das Wake Up Light – ein Wecker, der durch Licht weckt – soll dem Kunden ein »natürliches Aufwachen« ermöglichen und dadurch das Wohlbefinden steigern. Für den Produktspot lässt Philips die Lampe von Bewohnern der norwegischen Stadt Longyearbyen testen, die dabei von einem Kamerateam begleitet werden. Der Clou: Bei Longyearbyen handelt es sich um die nördlichste Stadt der Welt, in der gerade Polarnacht herrscht – ein halbes Jahr absolute Dunkelheit.
- [8] vgl. Lohmeier, Anke-Marie: Filmrhetorik. In: Ueding, Gert (Hg.): Das historische Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 3. Tübingen 1996. Sp. 355—356.
- [9] ebd.
- [10] McKee, Robert: Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens. Berlin 2016(10). S. 19.
- [11] Bordwell, David; Thompson, Kristin: Film Art. An Introduction. New York 2008(8). S. 54.
- [12] ebd.
- [13] vgl. Ong, Walter J.: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Wiesbaden 2016(2). S. 132.
- [14] vgl. Sammer, Petra: Storytelling. Die Zukunft von PR und Marketing. Köln 2014. S. 29.
- [15] vgl. Ong, a. a. O., S. 132.
- [16] Teixeira, Thales: The Rising Cost of Consumer Attention. Why You Should Care, and What You Can Do about It. In: Harvard Business School Working Paper, No. 14-055. 2014. 12. URL: http://www.hbs.edu/faculty/Publication%20Files/14-055_2ef21e7e-7529-4864-b0f0-c64e4169e17f.pdf (17.4.2017).
- [17] vgl. Sammer, Petra: Storytelling. Die Zukunft von PR und Marketing. Köln 2014. S. 175—176
- [18] https://vimeo.com/45631201 (Stand 2.1.2019); dieses Video zeichnet die virale Erfolgsgeschichte der Lego-Imagine-Kampagne nach.
- [19] vgl. Teixeira, Thales: The Rising Cost of Consumer Attention. Why You Should Care, and What You Can Do about It. In: Harvard Business School Working Paper, No. 14-055. 2014. 3. URL: http://www.hbs.edu/faculty/Publication%20Files/14-055_2ef21e7e-7529-4864-b0f0-c64e4169e17f.pdf (17.4.2017).