4 Gibt es gute Argumente gegenüber Terroristen?
Nach dieser kurzen Skizze von Typen möglicher Motivationen wird eines deutlich: Mit Abschreckung und Appell an die Vernunft, aber auch mit herkömmlichen militärischen Mitteln ist dem Terrorismus nicht beizukommen, da er primär eine Kommunikationsstrategie ist. Man kann also nur auf derselben Ebene agieren, d. h. der Kommunikation.[23] Kommunikation besteht aus Rede und Gegenrede und damit enthält sie Äußerungen, die Argumente für oder gegen etwas sind. Welche Argumente gibt es gegen den Terrorismus und welche Argumentationsstrategie dafür, einen Terroristen von seinen geplanten Taten abzuhalten?
Was ist ein Argument? Ein Argument für eine Aussage C ist eine Aussage B, die zusammen mit einer schon akzeptierten, vorhergehenden Aussage A zur Herleitung einer Aussage C benutzt werden kann. Formal: A Ù B ® C. Dadurch soll Zustimmung zu dieser Aussage C erreicht werden. Analoges gilt für das Gegenargument. Ein Beispiel einer argumentativen Begründung wäre: Der Satz B »Sokrates ist Mensch« ist ein zusammen mit der akzeptierten vorhergehenden Aussage A »Alle Menschen sind sterblich« ein zwingendes Argument für die Aussage C »Sokrates ist sterblich«.
Ein Bild ist noch kein Argument, es kann immer nur eine schon bestehende Aussage unterstützen, beweisen, erläutern, präzisieren etc., aber nicht ersetzen. Das Zeigen von Horror-Videos über Mordtaten an Feinden[24] ist zwar ein Kommunikationsakt im Sinne der Binnenrationalität des Terrorismus, aber kein Argument, sondern wird eher affirmativ benutzt: »Seht hier, wir demütigen Euch, wir haben Macht über einige von Euch, Ihr seid verletzbar, es kann jeden von Euch treffen.«
Hier kommt nun nicht nur die logische Struktur, sondern die pragmatische Struktur eines Arguments ins Spiel. Man kann auf der pragmatischen Ebene ein Argument so definieren: »[Eine] Argumentation ist eine verbale, soziale und rationale Tätigkeit, um eine vernünftige Kritik der Akzeptanz eines Standpunktes überzeugend darzulegen, und zwar durch die Vorlage einer Konstellation von Aussagen, die die Behauptung, die in dem fraglichen Standpunkt zum Ausdruck kommen, rechtfertigen oder widerlegen.« (Eemeren, Grootendorst 2004, S. 1)
Die logische Stimmigkeit eines Arguments wäre also die Voraussetzung für die pragmatische Wirksamkeit. Wir müssen uns daher fragen: Wie ist es möglich, in einem ersten Schritt mit Terroristen überhaupt zu kommunizieren? Und falls dies überhaupt möglich wäre, was könnte dann ein Argument sein, Terroristen als Gruppe oder als Einzelperson z. B. vom Zünden einer Bombe abzuhalten? Reicht es aus, ihnen nachzuweisen, dass ihre Prämissen oder ihre Schlussfolgerungen falsch sind? Logik allein ist sicher nicht ausreichend.
4.1 Was könnte man vernünftigerweise sagen?
Die erste Position zu diesen Fragen ist negativ und verurteilt das ganze Unterfangen zum Scheitern. Denn wie kann man aus einer gewaltschwangeren Situation einen idealen Diskurs machen? Das wusste auch der schonungslose Analytiker der Macht, Nicolo Machiavelli: »Zu einem zügellosen, aufrührerischen Volke kann ein wohlmeinender Mann sprechen und es leicht wieder auf den rechten Weg führen. Zu einem schlechten Fürsten kann niemand reden. Gegen ihn gibt es kein Mittel als das Eisen.« (Machiavelli in Zorn 1977, S. 58)
Die zweite Position sieht das Ganze als eine eher psychologische Frage: Geht es um psychologische Behandlung wie in einer notfallorientierten Gesprächstherapie (z. B. in akut drohenden Suizidfällen) oder um philosophisch zwingende Argumentation? Im ersten Fall müsste der Psychologe die Regie übernehmen – und vielleicht ist das Ganze vielleicht ohnehin nur ein psychologisches Problem.
Im zweiten Fall aber, in dem die Hoffnung auf eine philosophisch zwingende Argumentation gesetzt wird, würde dies bedeuten, dass das, was an einer Argumentation zwingend ist, interkulturell invariant eingeschätzt und verallgemeinert werden könnte. Abgesehen davon bräuchte eine solche Argumentation eine gewisse Vorlaufzeit, um den geeigneten Kontext für einen Dialog überhaupt herzustellen. Mit anderen Worten: Philosophische Argumentation ist für akute Notfälle meist ungeeignet. Wenn man also Pluralismus fordert, dann wissen wir, dass dessen Praxis nur funktionieren kann, wenn es eine allgemein akzeptierte Konvention über Metaregeln der Kommunikation gibt. Diese Metaregeln, wie immer sie auch strukturiert sein mögen, werden jedoch durch die Bereitschaft, für eine Sache zu sterben, so gut wie außer Kraft gesetzt, denn auf die letzte Antwort des Terroristen in einem solchen Dialog, nämlich seinen Tod, ist kein Argument ihm gegenüber mehr möglich, wohl aber gegenüber seiner Umwelt.
Gehen wir zunächst einmal davon aus, dass solche – von uns als terroristisch eingestufte – Gruppen nicht ausschließlich egoistisch motiviert sind. In der Regel stehen hinter den Selbstmordattentätern Leute, die alles andere als bereit sind, für ihre Sache in den Tod zu gehen. In einem solchen Fall könnte man den Dialog mit der Aufforderung beginnen, sich zu erklären: Warum tust Du das, was willst Du, was hast Du davon? Kann ich Dir das, was Du willst, auch so geben, ohne dass Du töten oder zerstören musst? Eine Variante hiervon sind die Lösegeldverhandlungen – ein Lösegeld kann aber auch nicht-monetär, also metaphorisch in Form von Anerkennung und Kompensation verstanden werden. Diese Strategie baut darauf, dass die Motive zu Sprache gebracht werden, über die man den Dialog – so die Hoffnung – dann vielleicht weiterführen kann. Freilich lauert hier die Gefahr der Erpressbarkeit. Aus Furcht, erpressbar zu werden, haben viele Staaten die Strategie gewählt, mit Terroristen grundsätzlich nicht zu verhandeln und die Geiseln als bereits Gefallene in einem wie auch immer definierten »Krieg gegen den Terror« anzusehen.
Die Drohung, im Falle einer terroristischen Tat den Täter zu vernichten, läuft bei Selbstmordbereitschaft ins Leere – sie könnte nur Wirkung erzielen, wenn sie sich auf die dem potentiellen Täter nahestehende Personen, z. B. seine Familie ausdehnt. Die ist aber mit den offiziell propagierten westlichen moralischen Vorstellungen nicht vereinbar und erinnert an die Geiselerschießungen nach Partisanenangriffen. Obwohl immer wieder praktiziert, auch von westlichen Staaten und nicht nur in der Kolonialzeit, hat diese Methode in der Militärgeschichte im Sinne der Reduzierung der Partisanen- oder Widerstandsaktivitäten noch nie eine nennenswerte Wirkung gezeigt.
Beim egoistischen Typ mit Selbstmordbereitschaft werden Appelle wenig bis nichts nutzen, seien es Apelle an die Menschenrechte, die doch universalisierbar seien, oder an das Mitleid mit den betroffenen, meist unschuldigen Opfern oder gar an den moralischen Instinkt des Täters. Beim nichtegoistischen Typ, sozusagen beim Überzeugungstäter, muss man hinsichtlich der Selbstmordbereitschaft unterscheiden. Sieht der potentielle Täter seine Belohnung im Jenseits, könnte ein Appell an die Unrechtmäßigkeit seines Tuns im Kontext des eigenen Glaubens beeindrucken.
Eine glaubwürdige Warnung vor metaphysischen oder religiösen Folgen der Tat – z. B. auch die Verdammnis durch unwürdige Bestattung des Selbstmordattentäters – könnte dazu führen, dass sich der Täter auf eine Diskussion einlässt. Dies wird er zunächst nur dann tun, wenn er sich etwas davon verspricht, z. B. die schnellere oder besser Erfüllung seiner Ziele als durch den beabsichtigten und vielleicht schon vorbereiteten Terrorakt. Diese Warnungen müssen aber glaubwürdig sein. Hier ist auch die Grenze des Präferenz-Utilitarismus erreicht: »Es nützt Dir doch selbst nichts!« kann nur ein Argument sein, wenn der potentielle Täter bereit ist, weiter zu leben oder an einen künftigen jenseitigen »Nutzen« zweifelt.
Man muss hier jedoch einwenden, dass eine glaubwürdige Warnung vor religiösen Folgen der Tat wohl nur Personen äußern können, die über eine gewisse Autorität in solchen Fragen haben. Hier wären Vertreter der Glaubensrichtungen, auf die sich Terroristen berufen, gefragt, eindeutig und unmissverständlich Stellung zu beziehen.
- [23] Die Frage ist früh gestellt worden, ob man dem Terrorismus nicht nur durch das Austrocknen der Finanzflüsse den Boden entziehen könnte, sondern auch dadurch, dass kein Medium mehr über terroristische Akte berichten würde. Das ist freilich illusorisch, dennoch wäre ein besonnenerer Umgang mit der »symbiotischen Beziehung« zwischen Medien und Terrorismus bedenkenswert. Vgl. Frey (2005).
- [24] Es geht nicht nur um die kürzlich im Internet verbreiteten Videos über Enthauptungen und Verbrennungen. Gefilmte Hinrichtungen oder Massenmorde sind nichts Neues, unter den Nationalsozialisten wurden Massenexekutionen, sei es an Partisanen, sei es an KZ Häftlingen, filmisch dokumentiert, wohl aber vor der Befreiung 1945 nicht veröffentlicht. Die Vollstreckung der Todesurteile von Nürnberg in den Nachkriegswochenschauen ist der älteren Generation noch sehr wohl in Erinnerung. Stolz zeigen die Roten Khmer die abgeschlagenen Köpfe ihrer Gegner. Hinrichtungen waren auch in Europa lange Zeit öffentlich – der angebliche Abschreckungseffekt und befriedende Wirkung auf die Bevölkerung wurde hoch eingeschätzt –, die meisten Hexenverbrennung waren ja auch öffentlich. Sicher ist nur eins: Das objektiviert wiedergegebene Leiden eines Opfers stoppt den Vollzug der leidensverursachenden Handlung durch die Protagonisten nicht. Zeigen von Leiden ist nicht immer ein wirksames Argument gegen diejenigen, die das Leiden verursachen.