Auch wenn dieselbe Studie die dort »aufgestellte These, die Berichterstattung orientiere sich stark an den handelnden Akteuren und weniger stark an den inhaltlichen Themen, zumindest für die Mehrheit der journalistischen Artikel nicht bestätigt werden« konnte, so zeigten doch »18 Prozent aller Artikel […] eine starke oder sehr starke Personalisierung und fokussierten damit in erheblichem Maß auf bestimmte Akteure.«[7] Diese Personalisierung betraf vor allem griechische Akteure und ging mehrheitlich mit einer negativ-wertenden Haltung einher. Betrachtet man die Rolle der Bilder innerhalb dieser Berichterstattung, auch jenseits klassischer Nachrichtenportale und Zeitungen, so tritt besonders die Figur des damaligen griechischen Finanzministers hervor. Innerhalb der benannten Pole wird die Figur des Varoufakis in unterschiedlichen Rollen erfunden (teilweise auch von ihm selbst), die im Weiteren einzeln nachgezeichnet werden sollen. Eines der wesentlichen Mittel des Pop, mit seinen Ikonen wie des Populismus, mit seinen Führern, ist die Personifikation, die es rhetorisch ermöglicht, komplexe Zusammenhänge und Systeme als Showdown zwischen Charakteren zu inszenieren (Abb. 3).
In eben dieser Weise wurde die Banken- und Spekulationskrise visuell-medial ausgetragen, die ihr Setting, ihre Bühne durch ihre Umbenennung in Finanzkrise, Staatsschuldenkrise, Eurokrise und schließlich Griechenlandkrise erhielt. Mit den Akteuren »Varoufakis vs. Schäuble« ausgestattet, wurde dieses Setting zur Arena, in der der rhetorische Agon ums Ethos ausgetragen werden konnte. Denn darum ging es vorrangig, ums Ethos, um die Glaubwürdigkeit, die durch den Charakter des Redners, oder das, was man für seinen Charakter hält, gewonnen wird.
Ich möchte im Weiteren eine kleine Auswahl der vorrangig visuellen Charakterzuschreibungen von Varoufakis vorstellen: Es handelt sich um Varoufakis als Rebell und Renegat, als charismatischen Führer, als Superheld und schließlich als Terrorist, als Erpresser und Lügner.
a) Rebell und Renegat
Als im Januar 2015 die linke Partei »Syriza« gewählt wurde und Varoufakis zu ihrem Finanzminister ernannte, kam eine Regierung zustande, die bereits einen Bruch mit dem als Spardiktat empfundenen Kurs der europäischen Krisenbewältigung angekündigt hatte und für diesen wohl auch gewählt wurde. Es sollte um Neuverhandlungen der Schulden gehen, um ein Ende der »Herrschaft der Technokratie der Troika« und um den wirtschaftlichen Aufbau des Landes. Die Kampfansagen aus der Wahlkampfzeit mussten diese Partei und ihre Führung bereits in das Licht des Rebellentums und umstürzlerischer Unternehmungen stellen. Will man das rebellisch Subversive eines Gegenübers deutlich machen, ohne dabei eine komplizierte inhaltliche Debatte anzufangen (zum einen, weil man diese Debatte nach so wenigen Tagen noch gar nicht führen kann, zum anderen, weil man diese Debatte zu verstehen dem Publikum wohl auch nicht zutraute, und insbesondere, weil man auf diese Weise die linke Regierung ernstzunehmen hätte), so bedient man sich wohl bestenfalls bestimmter Stereotype, die im Falle von Bildern eine Evidenz vorgeben können, die als unmittelbar überzeugend empfunden werden kann (Abb. 4 und Abb. 5):
Die Presse, von »Spiegel Online« bis zum »Handelsblatt«, nahm sich beispielsweise dieses Bildes der Begegnung des griechischen und des britischen Finanzministers an. Das Handelsblatt titelt: »Ohne Krawatte, dafür in Lederjacke: So schlägt Finanzminister Yanis Varoufakis bei politischen Terminen auf. Ewig wird er das nicht machen können.«[8] In gleichem Ton meinen auch andere Medien, von den Attributen »ohne Krawatte«, »mit Boots« und »mit Ledermantel« auf fehlende Ernsthaftigkeit schließen zu können. Ernsthaftigkeit aber gehört zu den Grundvoraussetzungen rhetorischer Bemühungen. Zum einen muss der Orator (als vir bonus) selbst als ernsthaft angesehen werden, um seinen Äußerungen Glaubwürdigkeit verleihen zu können; zudem muss die vorgetragene Sache ernsthaft sein, insofern sie auch ernsthafte Veränderungen im Denken, Fühlen und Handeln des Publikums auszulösen sucht; schließlich muss aber auch die Art und Weise der Behandlung dieses Gegenstandes ernsthaft sein. Von diesen drei rhetorischen Dimensionen der Ernsthaftigkeit zielt die von Medien wie dem »Handelsblatt« und anderen vorgebrachte »Stilkritik« auf ein Untergraben vor allem der zuletzt genannten, der Ernsthaftigkeit als Verfahrenstechnik, und im weiteren Verlauf auch immer mehr auf die erste Dimension, der vermeintlich fehlenden Ernsthaftigkeit des Orators als eines Ethos-Defizites. Nach Odo Marquard gilt: »Komisch ist und zum Lachen reizt, was im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden lässt.«[9] Demnach können Verfahrensabläufe dadurch subvertiert werden, dass innerhalb derselben geltende und für den Ablauf konstitutive Aspekte performativ für nichtig erklärt werden oder aber das für den Verfahrensablauf Irrelevante für das Verfahren selbst erklärt wird. Im zweiten Sinne wird mit diesen Bildern verfahren, wofür auch folgendes Medienbild stehen mag (Abb. 6).
- [7] ebd.
- [8] Waßermann, Laura: Ist dieser Mann wirklich cool? Ohne Krawatte, dafür in Lederjacke: So schlägt Finanzminister Yanis Varoufakis bei politischen Terminen auf. Ewig wird er das nicht machen können. Erfordert ernste Politik am Ende ein ernstes Auftreten? Eine Stilkritik. Auf: Handelsblatt.com vom 5.2.2015.
- [9] Marquard zit. nach Hügli, Anton: Lachen, das Lächerliche. In: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 5. Tübingen 2001. Sp. 1—17: Hier: Sp. 15.