Nein, nein! Bitte fahren Sie fort! Für Gestalter dürfte das in Zeiten medialer Umbrüche von großem Interesse sein.
Also wie gesagt: Das System, das sich in der Rhetorik verbirgt, bezieht sich nicht nur auf Sprache. Es ist vielmehr ein umfassendes kulturelles Organisationssystem. Das zeigt sich in Albertis Architekturtheorie. Er übernimmt die Ordnungsstruktur des römischen Rechts für die Unterscheidungsdefinitionen der architektonischen Gattungen. Drei seiner zehn Bücher hat er dieser Unterscheidungsarbeit gewidmet. In einem geht es um sakrale Architektur, in einem zweiten um öffentliche Architektur und im dritten um privat-profane Architektur. Für alle Gattungen hält Alberti unterschiedliche Ornamente als Unterscheidungsmarker bereit. Dabei ist das Wort »alle« wichtig. Dieses Architektursystem erfasst und markiert die ganze Kultur. Das ist anders als bei den Ornamentmarkierungen des Mittelalters. Da gab es eigentlich nur Sakralornament und die Abstufung von viel und wenig. Die Kathedrale mit Umgang und Kapellenkranz hatte viel Ornament. Die kleine Kirche hatte wenig Ornament. Es gab kein spezielles Ornament für nichtsakrale Öffentlichkeit und kein Ornament für den privaten Bereich. Nichtsakrale Öffentlichkeit konnte sich nur durch Fortifikationsbau ausdrücken.
Ich muss eine kleine Einschränkung anbringen. Wenn ich sage, das Ornamentsystem habe alles erfasst, dann stimmt das nicht ganz. Die rein technischen Gebäude wurden nicht in das Beziehungsnetz der Ornamentarchitektur aufgenommen. Sie bildeten eine Leerstelle, die als solche zu erkennen war. Übrigens: in den Rhetoriklehrbüchern werden die rhetorischen Figuren »Ornamente der Sprache« genannt.
Alberti war ein Architekturdesigner, der nicht Einzeldesign entworfen hat, sondern ein Designsystem. Und weil dieses Designsystem sakral, öffentlich-profan und privat-profan erfasste, wirkte es integrativ, und weil es imstande war, verschiedene Rankingstufen zu markieren, wirkte es skalierend. Alberti hatte somit ein Designsystem erschaffen, dass die Merkmale »Integration« und »Skalierung« enthielt.
Albertis System löste sofort das mittelalterliche System ab und verbreitete sich mit großer Geschwindigkeit in ganz Europa und darüber hinaus. Es fand seine endgültige, kompakte und griffige Form im Regelwerk von Vignola.
Dies ist etwas, was die Kunsthistoriker nicht verstehen: Zuerst gab es im Trecento eine Renaissance auf den Gebieten »Diskurstechnik« und »Recht«. Das Überleben dieser Renaissance war an das außenpolitische Schicksal der Stadt Florenz geknüpft. Die knospende Renaissance überlebte dank Salutati. Denn die Bewahrung der Freiheit von Florenz im Trecento war entscheidend für das Überleben und für die Weiterentwicklung der Renaissance. Die Theoretiker der Künste im Quattrocento stützten sich bei ihrer Arbeit auf die Texterfahrung, die sie von ihren Vorgängerhumanisten, zum Beispiel Salutati und Bocaccio, übernommen hatten. Und dies ist wichtig: Die Kunst der Renaissance begann als Theorie. Die Künstlergenerationen nach Alberti setzten mit viel trial-and-error-Arbeit die theoretischen Postulate in künstlerische Praxis um. Der größte Pionier auf diesem Gebiet war Leonardo da Vinci. Er ging ganz systematisch vor. Das kann man beobachten an seinen unzähligen Bewegungsstudien. Von ihm lernten Michelangelo und Raphael. In diesem Prozess war Alberti die wichtigste Persönlichkeit. Und das verstehen Kunsthistoriker nicht, weil sie immer nur nach Künstlern suchen, und weil sie glauben, dass Innovation immer nur vom Schaffensrausch der Künstlergenies ausgeht. Die Innovationsleistungen der Renaissance gingen von intelligenter Theoriearbeit aus.
Das Wichtigste bei diesen Überlegungen ist die Tatsache, dass die Renaissanceentwicklung auch während der späteren Jahrhunderte nicht eine Entwicklung war, deren Meilensteine einzelne Kunstwerke waren, sondern eine Entwicklung, in der ein System übertragen wurde. Die Kunsthistoriker sprechen immer nur von großen Kunstwerken. Das wären dann in der Renaissance-Architektur Gebäude wie die Gesu-Kirche von Giacomo della Porta oder der Palazzo Farnese von Michelangelo. Sie sprechen von den stilistischen Einflüssen, die von einem großen Kunstwerk zum nächsten großen Kunstwerk führen, und sie sprechen von Epochenstilen. Das ist dann so etwas sind wie ein Weltgeist der Kunst, der sich in genialen Kunstwerken materialisiert.