Die klassische Rhetorik sieht für die Produktion von Reden ein Schema von fünf Arbeitsschritten vor, das in einer vermeintlich strengen Sukzessivität abgearbeitet werden sollen. Im Folgenden werden diese, in ihrer Adaption auf das Feld der visuellen Kommunikation stichpunktartig aufgelistet[5]:
intellectio – Die Festlegung des Kommunikationsziels
Die erste Arbeitsphase sieht eine gründliche Recherche unter Berücksichtigung unterschiedlicher Aspekte vor. Zentraler Teil dieses Werkprozesses ist die Formulierung eines Kommunikationsziels und die Zuordnung zu einem Kommunikationsanlass.
inventio – Die Erfindung und Auffindung von Bildideen
Der zweite Arbeitsschritt befasst sich mit dem Suchen nach Argumenten, z. B. durch die überraschenden Kombinationen von Bild- und Textsemantiken. Aus einem Repertoire an allgemein verständlichen Bildstereotypen werden unterschiedliche Möglichkeiten erwogen und neu kombiniert.
dispositio – Anordnung des Stoffes
Phase 3 beschäftigt sich mit der Frage der Gewichtung der visuellen Argumente und mit Aspekten ihrer Wirkung, wie das Steuern des Blickes durch Planung des Formats
elocutio – Die Ausarbeitung des Stoffes
Nach dem Finden der Bildideen und dem Scribblen der Entwürfe ist die 4. Arbeitsphase für die Ausführung des gestalterischen Artefakts zuständig. Diesem Schritt wird das »In-eine-konkrete-Form-bringen«, das Ausarbeiten des Endprodukts, zugerechnet.
actio – Der »Vortrag« der Rede
Die letzte Arbeitsphase entspricht dem Arbeitsschritt der Vorbereitung und Durchführung der Präsentation.
Bei vertiefender Auseinandersetzung mit rhetorischen Anweisungen findet man in der Beschreibung der einzelnen Arbeitsschritte Heuristiken zur Methodik des Formulierens. Können diese Anweisungen mit in den intuitiv erlebten, unbewussten Kreativitätsprozess einfließen und einen konstruktiven Beitrag leisten? Das die intellectio, die Festlegung des Kommunikationsziels, durch eine profunde Recherche an den Anfang eines jeden Kommunikationsprozesses gehört, wird sicherlich von keinem seriösen Gestalter bezweifelt werden. Allerdings wirkt das vermeintlich strenge Nacheinander der Schritte inventio, dispositio und elocutio wenig praktikabel. Ist man im Umgang mit dem Kreativprozess routiniert, so weiß man, dass bereits beim Schritt der inventio (dem Auffinden von Bildideen) an den Schritt der elocutio, also die Ausführung, gedacht wird. Bei dem Schritt der elocutio, dem Umsetzen der geplanten Idee, müsste man rückwirkend immer wieder die Arbeitsschritte inventio und dispositio miteinbeziehen und abwandeln. Hier zeigt sich ein Problem, weshalb intuitiv arbeitende Gestalter nicht sofort ihren eigenen Kreativprozess in einer rhetorischen Struktur wiederfinden können. Grund dafür ist, dass das rhetorische Produktionsmodell ein vereinfachtes, operativ sinnvolles Modell darstellt, dessen Anwendung vertiefende Kenntnisse im Umgang mit der Disziplin »Rhetorik« erfordern würden. Die Lösung für dieses missverständliche Anwenden des Produktionsmodells findet man in Rhetorikhandbüchern, denn es gilt nicht nur für den Schöpfungsprozess von visueller Kommunikation, sondern ebenfalls für die Planung und Führung von Diskursen.