Persuasive Mittel der Ausstellungsgestaltung
In der antiken Theorie erachtete Cicero die Erzählung (diegesis, narratio) in der Darlegung eines Sachverhaltes als Teilelement der Rede zwar für unerlässlich, maß ihr im Prozess der Persuasion jedoch keine besondere Bedeutung bei. In gleicher Weise lässt sich in Bezug auf die Szenografie behaupten, dass eine Betrachtung der narrativen Elemente einer Ausstellung sicherlich eine Erkenntnis darüber vermitteln kann, inwieweit diese dazu dienen können, Besucher emotional zu tangieren und zu involvieren. Geht es jedoch darum, zu reflektieren, auf welche Weise der Besucher dazu gebracht wird, sich auf das Dargestellte einzulassen und seine Erfahrungen im besten Falle weiterzugeben, bedarf es einer strukturellen Analyse der Mittel, die ihn dazu bewegen. Oder anders gesagt: Eine narrative Struktur dient wohl zur Darstellung eines Sachverhaltes, zur Vergewisserung der Stichhaltigkeit und Überzeugungsstärke eines Inhalts ist sie jedoch ungenügend.
Um ganzheitlich und überzeugend auf den Ausstellungsbesucher einwirken zu können, lassen sich in der Szenografie verschiedene Herangehensweisen beobachten, die sich leicht auf die Wirkungsfunktionen der Rede übertragen lassen. So scheint es naheliegend, dass auch Ausstellungen belehren (dovere), unterhalten (delectare) und bewegen (movere) wollen.
So wie die Argumentation den Mittelpunkt einer Rede bildet, besitzt jede Ausstellung spezielle Exponate oder Produkte, von denen die Besucher durch eine auf diese Objekte bezogene Inszenierung überzeugt werden sollen. In gleicher Weise wie in der Aufgabe der Rede, geht es darum, eine Balance zwischen informativen, unterhaltenden und bewegenden Elementen zu finden, oder, anders gesagt, dem logos, ethos und pathos beizukommen. Und eben in gleicher Weise wie bereits in der Antike vor einem zum Schwulst verkommenen pathos gewarnt wird, gilt es auch in der Szenografie, die sinnlich reizenden Gestaltungsparameter nicht Überhand nehmen zu lassen, damit die Inszenierung nicht zum visuellen Substitut und letztlich zum Selbstzweck gerät.
Produktionsstadien aus rhetorischer Sicht
Volker Friedrich wagte jüngst den Versuch einer Übertragung des rhetorischen Entstehungsprozesses auf den Entwurfs- und Gestaltungsprozesses im Design. Die Schritte inventio, dispositio, elocutio, memoria und actio wurden dabei zu »Idee finden«, »konzipieren«, »gestalten«, »prüfen« und »präsentieren«[6]. Dieser Ansatz wird sich im Folgenden wiederfinden, wobei jedoch bedacht werden muss, dass es sich im Design manchmal, im szenografischen Entstehungsprozess allerdings stets um die Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen handelt. Dadurch findet ein gleichzeitiger Gestaltungsprozess einer Vielzahl medialer Vermittlungsebenen statt, die jedoch durch ein gemeinsames Ziel verbunden werden. Trotz des Verweises auf den Ansatz Volker Friedrichs sei außerdem nochmals betont, dass der explizite Bezug der rhetorischen Produktionsstadien auf die der Szenografie hier nur exemplarisch dargestellt werden soll, während die Entstehung einer Ausstellung in der Praxis natürlich stets abhängig ist von zumeist sehr spezifischen individuellen Parametern.
a) inventio
Bevor sich dem Inhalt einer Ausstellung gewidmet werden kann, bedarf es der Erschließung und Definition gewisser Rahmenbedingungen des Ausstellungsortes. Gemäß dem in der antiken Rhetorik nur partiell vorkommenden intellectio, das sich um die Klärung des Redegegenstandes bemüht, kann hier beispielsweise von einer Erschließung der Zielgruppe ausgegangen werden. Die darauf folgende inhaltliche Planung geschieht vor allem durch eine umfangreiche thematische Recherche. Die dabei aufgefundenen Fakten werden dann, wie das »Atelier Brückner« darstellt, von Kuratoren oder Wissenschaftlern verschiedenen Analysen unterworfen, wodurch unterschiedliche Sichtweisen erforscht und auf ihre Darstellbarkeit hin untersucht werden[7].
Die für die inventio notwendigen topoi lassen sich im Ausstellungskontext beispielsweise in der Erschließung der Grundgegebenheiten des Ortes finden, so in der Reputation des Hauses oder der Marke, in finanziellen Umstände, in thematischer Ausrichtung oder in den Räumlichkeiten. Psychologische Strategien, wie sie in konzeptuellen Überlegungen der Szenografie Anwendung finden, waren in der antiken Rhetorik zwar noch nicht bekannt, aber durchaus bis zu einem gewissen Maße bedacht. Es sollte dem Redner gelingen, auf seine Zuhörer situativ reagieren zu können, womit sich an dieser Stelle ein klarer Unterschied zur Ausstellung zeigt, die nach ihrer Eröffnung von sich aus konzeptionell funktionieren muss. Insofern dürfen auch mögliche Interaktionsangebote einer Ausstellung nicht mit dem beidseitigen Kommunikationsprozess in der Rede verglichen werden, da der Ausstellungsbesucher in diesem Fall zwar Einfluss auf gewisse Dinge haben, sie jedoch selten dauerhaft und verändernd beeinflussen kann. Trotzdem lässt sich sagen, dass in der Persuasion der Ausstellung alle Positionen einflussnehmend sind, also Szenografen, die Ausstellung an sich und die Besucher, womit die aristotelischen Überredungs- oder Beweismittel von Redner, Rede und Zuhörer wiederum vertreten sind[8].
Als Verbindung zwischen dem Überblick über den Redegegenstand (intellectio) und der Anordnung des Stoffes (dispositio) bedarf es in der inventio einer Ausstellung des Studiums und der Recherche aller Umstände. Geht man davon aus, dass die Beweismittel ethos und pathos der szenografisch intendierten Didaktik oder den affektstimulierenden Inszenierungsmitteln entsprechen, muss der auf Argumenten basierende logos den sachlichen Beweisstücken, also den Exponaten zugeordnet werden. Die Forderung der Rhetorik nach einer Erkundung der »stofflichen Möglichkeiten«[9] darf also wort- und sinnverwandt als die Suche und Beschaffung zentraler Ausstellungsstücke verstanden werden.
- [6] Friedrich, Volker: Designer sollten Rhetoriker werden. Ohne Sprache kommt die Gestaltung nicht in Form. In: ders. (Hg.): Sprache für die Form – Forum für Design und Rhetorik. Ausgabe Nr. 1, Herbst 2012. http://www.designrhetorik.de/lernen/grundlagen/designer-sollten-rhetoriker-werden/ (Stand: 13.05.2015).
- [7] Barthelmes; den Oudsten, a. a. O., S. 114.
- [8] vgl. Andersen, Øivind: Im Garten der Rhetorik. Die Kunst der Rede in der Antike. Darmstadt 2001. S. 39.
- [9] Ueding, Gert; Steinbrink, Bernd: Grundriß der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode. Stuttgart, Weimar 2011. S. 214.