d) memoria
Wie Volker Friedrich in seiner Skizze der Übertragung rhetorischer Produktionsstadien auf jene im Design ebenso feststellt, stellt sich die Anwendung der memoria auf die visuelle Gestaltung als weniger kompatibel heraus. Seine Variante der Umdeutung hin zu einem Stadium der Prüfung erscheint jedoch sinnvoll, wenn man davon ausgeht, dass der Redner in der memoria das Konzipierte rekapituliert, um die bestmögliche Präsentation zu gewährleisten. Die Einprägung der Rede ins Gedächtnis sowie eine Vorbereitung auf die aktive Redeaufführung beinhaltet somit eine automatische Überprüfung der Gegebenheiten und der dahinter stehenden persuasiven Methodik.
Obgleich die Ausstellung prinzipiell eine über einen bestimmten Zeitraum hinweg feststehende Installation ist und ihr Gelingen somit nicht von einem einzigen Moment der Präsentation abhängt, bedarf es dennoch einer kompetenten und souveränen Repräsentation nach außen, die voraussetzt, dass jeder am szenografischen Prozess Beteiligte das Projekt vollkommen verinnerlicht hat. Somit darf durchaus nicht die Bedeutung der Ausstellungseröffnung missachtet werden, an der besonders der Projektleiter für das Gezeigte gerade stehen muss, ebensowenig wie die Kompetenz der Öffentlichkeitsarbeit, die über alle Bereiche der Ausstellung informiert sein muss.
Nicht nur während der Konzeption sondern auch darüber hinaus ist die Aufmerksamkeit eines ganzen Teams geboten, damit ein persuasives Gelingen gewährleistet ist.
e) pronuntiatio, actio
Wie soeben erwähnt, kommt der Ausstellungseröffnung zweifellos eine große Bedeutung zu, doch ist sie nur ein minimaler Faktor, wenn es um den dauerhaften Erfolg und das persuasive Gelingen der Ausstellung geht. Somit kann sie nicht dem Vortrag als letzter Teil des persuasiven Prozesses entsprechen. Doch auch die fertige Ausstellung kann kaum der actio (pronuntiatio) entsprechen, da auf sie nach der Eröffnung keinerlei Eingriff mehr genommen werden kann oder sollte, wodurch sowohl die Absicht zu überzeugen als auch die Affekte zu erregen, zum größten Teil im Endprodukt festgeschrieben sind.
Kompensiert wird die fehlende Direktheit der Präsentation in der Ausstellungsgestaltung jedoch durch ein umfassendes System an Werbe- und Kommunikationsmitteln sowie immer umfangreichere Vermittlungsangebote. Neben üblichen Vermarktungsmethoden durch PR und Pressearbeit in klassischen Medien erkennen viele Museen und Ausstellungshäuser mittlerweile das Potenzial eines alternativen, parallel zum echten Ausstellungsort existierenden Angebots, wie zum Beispiel Videokanäle oder Blogs, um Ausstellungen den (potenziellen) Besuchern näher zu bringen. Dabei geht es nicht nur darum, das Publikum im Vorfeld zu beeinflussen und zu einem Besuch der Ausstellung zu bewegen, sondern einen dynamischen Außenbereich zu gestalten, an dem der Besucher aktiv teilhaben kann. Auch innerhalb der Ausstellung werden immer mehr begleitende virtuelle Elemente angeboten, die das Dargestellte erklären und Zusammenhänge herstellen. So liegt die Besonderheit einer ausstellungsbegleitenden App im Vergleich zu statisch in die Ausstellung integrierten Texten beispielsweise darin, den Besucher einerseits durch die Räume zu begleiten und ihm mithilfe von Verknüpfungen oder Spielen außerdem Zugang zu eigenständig wählbaren Zusatzinformationen zu gewähren. Die persuasive Absicht einer solchen parallel stattfindenden oder begleitenden digitalen Repräsentation wird besonders dann deutlich, wenn man die gestalterische Nähe zur Werbung betrachtet. Durch den Einsatz vertrauter Formen zeitgenössischer Unterhaltung wird der Betrachter emotional, kognitiv und physisch stimuliert und befindet sich damit inmitten einer persuasiven Kommunikationsstrategie der Gestalter.
Obgleich der Absender im szenografischen Kommunikationsprozess also nicht, wie es die klassische Rhetorik fordert, direkt und spontan auf sein Publikum reagieren kann, kann durch den Einsatz weitgreifender Kommunikationsmethoden von einer Art Austausch zwischen Sender und Empfänger und einer direkt gerichteten Affekterregung gesprochen werden.
Die fehlenden methodischen Grundlagen sowohl seitens der Museumswissenschaft als auch der visuellen Rhetorik machen es schwer, den dargestellten Ansatz als stichhaltige Analyse zu betrachten. Die augenscheinlichen Gemeinsamkeiten der szenischen Themenvermittlung mit den Strukturen und Anforderungen der Rhetorik sollten jedoch deutlich machen, dass sich diese althergebrachte Disziplin in einer Erweiterung auf das Visuelle noch lange nicht erschöpft, sondern auch in Bezug auf andere Modalitäten fruchtbar gemacht werden kann.