Mythen des Alltags
Turnschuhe
Über Sportbekleidung im Büro
Wer heute seine Lederherrenschuhe durch schicke, blitzblank geputzte Sneakers ersetzt, zeigt sportlichen Erfolg. Mit dem richtigen Armani-Anzug oder Bleistiftrock kombiniert wird außerdem Sinn für Mode demonstriert. In Weiß oder auch in knalligem Flipflop-Effekt erlösen Sneakers die angestrengte Karrierefrau, die in grauer Vorzeit mit ihren Absätzen über Pflastersteine stolperte. High Heels, die zur idealisierten weiblichen Silhouette führen, erscheinen heute neben den Allrounder-Schuhen überholt und unnötig. In unbequeme Schuhe müssen sich Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer immer seltener zwängen. Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer sind agil und jung und zeigen mit ihren Tretern Kampf- und Teamgeist. Sneakers sind die Verbildlichung des Wortes »Flexibilität« in jedem Bewerbungsbogen.
Im 19. Jahrhundert lief der Turnschuh in unser Leben. Sport in der Freizeit wurde für die breite Masse möglich. Ähnlich lief es in Amerika. Auf einmal brauchten alle jungen Leute Trainingsschuhe. [1] In den 70er-Jahren, mit der Entstehung des Hip-Hop und Rap, sowie sportlichen Testimonials in der Werbung, etablierten sich Turnschuhe zum ersten Mal in der Modeszene. Der Gebrauchsgegenstand wurde zu einem Luxusobjekt — besonders beliebt bei Underground-Bewegungen verschiedener Musikszenen.
Die Schuhe, mit denen Ex-Umweltminister Joschka Fischer 1985 noch schockieren konnte und Steve Jobs Aufsehen erregte, sind heute kein Augenzucken mehr wert.
Doch auch wenn die Kleider-Etikette lockerer geworden ist, ist das Phänomen „Turnschuhe im Büro tragen“ ein ganz besonderes. Jeder Turnschuh ist für eine ganz besondere Sportart konzipiert, getestet und hergestellt worden. Er lebt davon, in diesem Sinne benutzt zu werden. Ein ordentlicher Turnschuh ist staubig vom Sportplatzsand oder dreckig von schlammigen Laufpfaden. Richtige Sportschuhe werden getragen bis sie vor Überlastung wortwörtlich aus dem Leim fallen. Das kann dem Turnschuh im Büro nicht passieren. Der Turnschuh im Büro verbringt die meiste Zeit sitzend und vor allem sauber – quasi unbenutzt.
Der urbane Sportschuh am Schreibtisch zeigt uns, wie unser Privat- und Berufsleben verschwimmen. Der Körper- und Gesundheitskult macht auch keinen Halt vor unseren Bürotüren und wird Bestandteil unserer Arbeit. Wir achten auf unsere »Work-Life-Balance«, indem wir mehr Wert auf persönliche Faktoren legen, wie gesunde Ernährung und Sport. Oder wir tun zumindest so als ob. Gerade Sport wird zum leistungsorientierten Pflichtprogramm, dessen Erfolg man nach außen transportieren will – bei der Arbeit eignen sich dafür Sneakers.
Turnschuhe im Büro zu tragen und auch überall sonst, ist ein Trend – ganz klar. Wir sehen sie überall, vorzugsweise in strahlendem Weiß. Man könnte sagen, dass unsere Schuhlandschaft eintönig geworden ist. Und doch ist es ein Trend, den uns unsere Füße danken – ein Trend, der so hoffentlich zum Dauertrend wird. Erfüllt der Turnschuh zwar nur seinen maximalen Zweck an Sportlerfüßen, so schmeichelt er doch jedem Fuße. Er verhindert Fußverkrümmungen, Hohlfüße, Plattfüße und lässt einen auf dem Weg zur Arbeit jede Straßenbahn erwischen. Denn solange man sein Schuhpaar anschließend vom Sraßenstaub befreit, kann man Turnschuhe auch getrost bei der Arbeit tragen.