Essay
Über Arbeit und die Diskriminierung Arbeitsloser
Eine alltagsästhetische Betrachtung
Was zeigen wir, wenn wir von Arbeit reden? Wen zeigen wir, wenn wir von Arbeitslosigkeit reden? Im Sinne der Rhetorik gefragt: Wie wird der Logos der Notwendigkeit (des Arbeitens) moralisch-emotional gestützt?
Beide – Rhetorik und Alltagsästhetik – haben es mit einem ganz spezifischen Verständnis von Notwendigkeit zu tun. Im Falle der Alltagsästhetik rührt dieses Verständnis von Notwendigkeit aus dem Bezug zum alltäglichen Dasein selbst. Der Alltag ist fest mit Normativität verbunden, mit den Vorstellungen von dem, was die Norm ist oder sein soll. Diese Normativität des Alltags rührt in weiten Teilen von der Notwendigkeit des Alltäglichen her, denn zunächst konfrontiert uns das Leben selbst mit den Notwendigkeiten des Lebenserhalts. Der Kreislauf des Lebens, das Beschaffen von Nahrung, die Einverleibung und die neuerliche Beschaffung, aber ebenso die Konsumtion von Kleidung, Wohnraum und vielem mehr, hat einen zwingenden Charakter. Hannah Arendt ordnet diesen Tatbestand in den Lebenszusammenhang der Natur, wenn sie schreibt: »Das Leben ist ein Vorgang, der überall das Beständige aufbraucht, es abträgt und verschwinden lässt, bis schließlich tote Materie, das Abfallprodukt vereinzelter, kleiner, kreisender Lebensprozesse, zurückfindet in den alles umfassenden ungeheuren Kreislauf der Natur selbst, die Anfang und Ende nicht kennt und in der alle natürlichen Dinge schwingen in unwandelbarer, totloser Wiederkehr.«[1] »Leben« ist in dieser Weise nicht als das In-der-Welt-Sein des Subjektes verstanden, sondern als die allgemeine Kategorie natürlicher Prozesse und kennt als solches weder Tod noch Geburt, weder Sinn noch Freiheit. Menschliche Tätigkeiten, so Arendt, entspringen der Notwendigkeit, diesen natürlichen Prozessen zu widerstehen, und sind doch selbst in den Kreislauf der Natur gebunden.[2] Das alltägliche Dasein, das auch für andere Theoretiker des Alltags wie Martin Heidegger[3] und Agnes Heller [4] durch die Sorge gekennzeichnet ist, durch das Besorgen, wie durch die Fürsorge, erscheint bei Arendt durch die natürlichsten Tätigkeiten des Menschen am deutlichsten: Dem Arbeiten und Konsumieren. Was diese so »natürlich« macht, ist gerade ihr zwingender Charakter und die endlose Wiederholung, in der sie das arbeitend Hervorgebrachte nahezu umgehend konsumierend verbrauchen müssen. Ich zitiere eine längere Passage aus der Vita Activa, weil Arendt hierin auch zu einer Pointe findet, die treffend das Grundproblem vor Augen stellt:
»Nicht nur die Erhaltung des Körpers, sondern auch die Erhaltung der Welt erfordert die mühevolle, eintönige Verrichtung täglich sich wiederholender Arbeiten. Obwohl dieser Arbeitskampf […] vielleicht noch ›unproduktiver‹ ist als der einfache Stoffwechsel des Menschen mit der Natur [den Marx als Arbeit bezeichnet], steht er doch in einem erheblich engeren Bezug zu der Welt, deren Bestand er gegen die Natur verteidigt. Von ihm hören wir oft in Sagen und Mythen als wunderbaren heldenhaften Taten, wie etwa in den Geschichten von Herkules, zu dessen zwölf ›Arbeiten‹ bekanntlich auch die Reinigung des Augiasstalls gehörte. […] Von solchen Heldentaten ist allerdings faktisch in dem täglichen Kleinkampf, den der menschliche Körper um die Erhaltung und Reinhaltung der Welt zu führen hat, wenig zu spüren; die Ausdauer, deren es bedarf, um jeden Tag von neuem aufzuräumen, was der gestrige Tag in Unordnung gebracht hat, ist nicht Mut, und es ist nicht Gefahr, was diese Anstrengung so mühevoll macht, sondern ihre endlose Wiederholung. Die ›Arbeiten‹ des Herkules haben mit allen Heldentaten gemein, dass sie einmalig sind; leider hat nur der Augiasstall die wunderbare Eigenschaft, sauber zu bleiben, wenn er einmal gesäubert ist.«[5]
Eben in diesem Sinne wirkt auch die Heroisierung der Arbeit auf dem Plakat der Neuen Westfälischen, die hiermit Zeitungszusteller sucht, wie eine bissige Satire (Abb. 1).
- [1] Arendt, Hannah: Vita Activa oder vom tätigen Leben. 16. Aufl. München 2015. S. 115.
- [2] vgl. a. a. O., S. 117.
- [3] vgl. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Nachdruck der 15. Aufl. Tübingen 2006.
- [4] vgl. Heller, Agnes: Das Alltagsleben. Versuch einer Erklärung der individuellen Reproduktion. Frankfurt am Main 2015(2).
- [5] Arendt 2015, S. 118f.