Die heroische Tat der Arbeit und auch die sportliche »Härte« (Abb. 2) kann doch allenfalls darin bestehen, täglich die Mühsal der Arbeit auf sich zu nehmen; und das nicht für Ruhm und Ehre, nicht aus sportlichem Ehrgeiz oder aufgrund eines Wettkampfes der Freien, sondern schlichtweg aus der Notdurft des Lebens heraus und einer gesellschaftlichen Übersetzung dieser Notwendigkeit in der modernen Auffassung von Arbeit als Pflicht.
Die Verachtung der Arbeit, die – wie Hannah Arendt überzeugend darlegt – das antike Verhältnis zu ihr bestimmte, rührt gerade daher, dass sie mit Freiheit nicht vereinbar ist. Frei sein kann man nur, wenn man nicht unentwegt den Notwendigkeiten des Lebens unterworfen ist; kurz: wenn für das Leben bereits gesorgt ist. Die scheinbar einzige Möglichkeit aber in diesem Sinne frei zu sein, besteht darin, andere für sich arbeiten zu lassen – oder entsprechend viel zu erben, was aber im Grunde nur heißt, dass die Vorfahren andere haben für sich arbeiten lassen. Der – wenigstens für mich – zentrale Punkt in der Arendtschen Analyse des tätigen Daseins ist die Stellung der Arbeit in der modernen Arbeitsgesellschaft, die sich wohl nirgends so deutlich zeigt, wie an der Totalisierung der Arbeit in den Wertvorstellungen unserer kapitalistischen Ordnung und der Allumfassung des modernen Arbeitsbegriffs. Zweierlei wird hierbei besonders deutlich: Alle Tätigkeiten, von denen man sich gesellschaftliche Anerkennung erhofft, müssen als Arbeit »nobilitiert« werden. Man denke etwa an die Familienarbeit, die Erziehungsarbeit, die Hausarbeit, ja selbst an neuere Wortschöpfung wie der »Sexarbeit«[6] (Abb. 3).
Dazu gehört aber eben auch die sogenannte »Kopfarbeit«: »Unter modernen Verhältnissen hatte jeder Beruf seinen Nutzen für die Gesellschaft überhaupt unter Beweis zu stellen, und da die Verherrlichung der Arbeit die Brauchbarkeit gerade rein geistiger Betätigungen in einem mehr als zweifelhaften Lichte erscheinen ließ, ist es nur natürlich, dass die sog. Intellektuellen sehr bald keinen sehnlicheren Wunsch hegten, als unter die Masse der arbeitenden Bevölkerung gerechnet zu werden.«[7] Zugleich, und das ist nur die zweite Seite derselben Medaille, »werden alle nicht-arbeitenden Tätigkeiten zum Hobby«[8] herabgewürdigt. Sie werden damit in den Bereich des Privaten verdammt, in welchem für den Privatmenschen gilt: »Was er tut oder lässt, bleibt ohne Bedeutung, hat keine Folgen, und was ihn angeht, geht niemanden sonst an.«[9] Für das Hobby kann also eine gewisse Form der Freiheit reklamiert werden, die allerdings, wie alles Private, mit gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit stigmatisiert wird. Hingegen muss jede gesellschaftliche Tätigkeit die Form der Arbeit annehmen und in dieser Form sich als gesellschaftsnützlich erweisen. Die alltäglichen Notwendigkeiten des Arbeitens und Konsumierens, die gesellschaftlich die Form der Pflicht annehmen, erscheinen ethisch als der »Beitrag an die Gesellschaft«; ein Beitrag, der auch immer ökonomisch zu verstehen ist, als der Betrag, den man zu zahlen hat, wenn man gesellschaftlich nicht aussortiert werden will. Wie Wilhelm Heitmeyer in seinen Langzeitstudien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit herausstellt, ist die Diskriminierung derjenigen, die diesen Beitrag nicht zahlen können – also etwa die Langzeitarbeitslosen und Obdachlosen –, im Zuge der Ökonomisierung des Sozialen erheblich gestiegen. Etwa ein Drittel der Befragten in einer Studie von 2007 stimmten tendenziell der Aussage zu, man könne sich wenig nützliche Menschen und menschliche Fehler nicht mehr leisten. »Etwa 40 Prozent sind der Ansicht, in unserer Gesellschaft werde zu viel Rücksicht auf Versager genommen, übertrieben Nachsicht mit solchen Personen sei […] unangebracht (43.9 Prozent).« [10] Die Studie zeigt eben auch, dass über ein Viertel (26,3 %) der Befragten Langzeitarbeitslosen sich selbst die Schuld für ihre Arbeitslosigkeit geben, und fast die Hälfte der Befragten meint, Langzeitarbeitslose seien nicht wirklich daran interessiert, einen Job zu finden.[11]
- [6] Den Begriff popularisierte Carol Leigh 1978. 2013 gründete sich die Interessenvertretung der SexarbeiterInnen »Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen«.
- [7] Arendt 2015, S. 109.
- [8] a. a. O., S. 152.
- [9] a. a. O., S. 73.
- [10] Heitmeyer, Wilhelm; Endrikat, Kirsten: Die Ökonomisierung des Sozialen. Folgen für »Überflüssige« und »Nutzlose«. In: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Deutsche Zustände, Bd. 6. Frankfurt am Main 2008. S. 62.
- [11] vgl. a. a. O., S. 65.