Welchen anderen Zweck kann dies alles haben, als den Versuch, der Darstellung eines Kindes, dem der Zuschauer höhnisch wenigstens die Mitschuld an der eigenen Lebenssituation zu geben vermag? Und wer dieser Zuschauer ist, wird mit der Studie Heitmeyers auch klar: Es sind vorrangig und in besonderem Maße die sozial unteren Schichten, die gegen Arbeitslose und anderweitige Hartz-IV-Empfänger aufgebracht werden. Heitmeyer schreibt: »Man muss davon ausgehen, dass mit niedriger Soziallage das Bedürfnis wächst, sich von Personen am untersten Rand der Sozialhierarchie abzugrenzen, indem man diesen eine negativere Arbeitshaltung zuschreibt als sich selbst. […] Die hohe Verbreitung von Vorurteilen gegenüber Langzeitarbeitslosen in der Bevölkerung zeigt, dass diesen in öffentlichen Debatten ein Image zugeschrieben wird, nach dem ihre mangelnde Arbeitsmoral der entscheidende Grund für ihre Arbeitslosigkeit ist.«[12] Das perfide an diesen Einspielern – und das, was sie gerade als Teil der Alltagsästhetik auszeichnet – ist, dass die Bilder, in ihrem einmaligen Vorbeirauschen und durch ihre Begleitung von informativen Sprecheranteilen und musikalischer Untermalung zunächst und zumeist unreflektiert bleiben. Keiner der anwesenden Studiogäste bezieht sich auf die Art der Darstellung, allein der anwesende Jakob Augstein kritisiert zumindest, dass dieser Junge mit seinem Vorschlag, sich auf 8 Euro zu einigen, nicht süß wirkt (wie Manuela Schwesig meint), sondern entwürdigt wird; zumal derselbe Junge kurze Zeit später noch einmal zu sehen ist, wo er sich auch mit 5 Euro zufrieden gibt, wenn er diese nur gleich haben könnte. Das zweite Beispiel macht den Gedanken Heitmeyers deutlich, dass es vor allem die fehlende Arbeitsmoral ist, die Arbeitslosen immer wieder öffentlich attestiert wird (Video 3). Dieser Einspieler entstammt derselben Talk-Runde, in der später auch in einem Einspieler, die starke Opferbereitschaft von zwei alleinerziehenden Frauen thematisiert wird, die – um nicht auf »staatliche Hilfe« angewiesen zu sein – sechs Tage die Woche Schrott sammeln. Sie betonen, dass sie nicht weniger als eine Tonne am Tag stemmen, kaum noch Zeit für ihre Kinder haben und sich oft schuldig gegenüber ihren Kindern fühlen. Alles dies macht sie zu beispielhaften Fällen, die zeigen sollen, welche Opfer man bereit sein muss zu erbringen. Auch in dem späteren Einspieler, um den es hier geht, wird die Kraft des Beispiels genutzt, allerdings nicht etwa zur Relativierung von gängigen Vorurteilen, sondern zu deren Bekräftigung.
In diesem dritten Einspieler wird mit sentimentaler Musik, die »Opferseite« gezeigt. In einer Suppenküche werden Arbeitslose zu den sie betreffenden Sanktionen interviewt. Sowohl der Einspieler, mehr noch aber die von Anne Will geführte Diskussion dazu beleuchten den Sanktionsdruck lediglich als individuelles Problem auf Seiten der Vermittler wie auch der Empfänger. Als politisches Problem wird Hartz IV und die massive Sanktionsgebrauch nicht diskutiert.
Während man sich also gleichzeitig auf Studien wie die Heitmeyers bezieht, missachtet man eindeutig dessen medienkritisches Resümee: »In der öffentlichen Diskussion sind insbesondere Langzeitarbeitslose dem Verdacht ausgesetzt, ›nutzlos‹ und inkompetent zu sein und Leistung zu verweigern. Diese Debatte wird von medialen und politischen Eliten angefacht. Entsprechend spiegeln sich solche Positionen auch in den Einstellungen der Bevölkerung.«[13]
Literatur
· Arendt, Hannah: Vita Activa oder vom tätigen Leben. München 2015(16).
· Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Nachdruck der 15. Aufl. Tübingen 2006.
· Heitmeyer, Wilhelm; Endrikat, Kirsten: Die Ökonomisierung des Sozialen. Folgen für »Überflüssige« und »Nutzlose«. In: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Deutsche Zustände, Bd. 6. Frankfurt am Main 2008.
· Heller, Agnes: Das Alltagsleben. Versuch einer Erklärung der individuellen Reproduktion. Frankfurt am Main 2015(2).