Essay
Verletzende Bilder und Worte
Beispiele für diskriminierende Rede im Internet
Selten wird sichtbar, welche Wunden entstehen, wenn Menschen durch Bilder oder Worte verletzt werden, wenn also etwas Wirkung hat wie ein Schlag ins Gesicht. Alicia Sommerfeld, die 2016 in einer hervorragenden Bachelorarbeit untersucht hat, was Verletzung durch Worte meinen kann, hat mich auf den Fotoessay des Fotografen Richard Johnsonin aufmerksam gemacht, der die sprachliche Gewalt mit Hilfe eines besonderen Make-Ups auf Gesichtern zu zeigen versuchte. Frau Sommerfeld gehört zu dem Kreis der Studierenden, mit denen ich das Thema »Verletzende Worte« seit langer Zeit bearbeite, weshalb ich gerne auf Ergebnisse aus Seminaren und von mir betreuten studentischen Arbeiten zurückgreife. Ohne die Arbeit meiner Studierenden wäre mir die Fülle der Thematik nicht so präsent, da wir die Strukturen an vielen Beispielen analysiert haben. Im Folgenden sollen vorrangig die Ergebnisse dieser Analysen vorgestellt werden.
1 Einleitung: Sprache als Waffe – ein legitimes Werkzeug?
Auch wenn die Sprache uns als Mittel der Verständigung dient, kann sie doch auch zu einem Medium der Gewaltausübung werden, denn: »von der indirekten Taktlosigkeit bis zur diskriminierenden hate speech kann Sprache als Gewalt wirken«[1] sagen die Herausgeber eines Bandes über die Grammatik sprachlicher Missachtung. So kann diskriminierende Rede durchaus zu psychischen und physischen Schäden führen. Formen der Kommunikation sind nicht per se ein Mittel der friedlichen Verständigung, auch wenn ein verbaler Schlagaustausch nicht unbedingt sichtbare Wunden hinterlässt. Gerade diese fehlende Sichtbarkeit der Wunden führt zu Versuchen, diese Form der Gewalt mit den Mitteln der Kunst sichtbar zu machen, sei es als Fotoessay oder auch als Kindervers, der uns bildlich vor Augen führt, was gemeint sein könnte: Stock und Stein brechen mein Gebein, doch auch Worte bringen Pein.
Es geht mir im Folgenden ganz explizit um die Gewalt durch Sprache und nicht um die Gewalt der Sprache. Ich stelle nicht in Frage, dass die Sprache schon vor jeglichem Sprechen strukturelle Gewalt ausübt, da sie freilich den Rahmen des möglich Denkbaren setzt. Mir aber geht es um die mit Hilfe der Sprache möglichen verletzenden Akte und zwar bezogen auf Wort und Bild und dies mit einem Schwerpunkt auf unsere heutigen Netzwelten.
Wobei mit Petra Gehring[2] gefragt werden muss, ob Gewalt tatsächlich der passende Ausdruck ist, wir nicht eher sagen müssten, dass Sprache physische Kraft entwickeln kann, die auf unseren Körper wirkt, eben auch verletzend, aber nicht nur. Sprache kann zur Waffe werden, eine, mit der um Überzeugungen gekämpft werden kann, eine, mit der verführt werden kann, die also erotische Wirkung entfaltet, und eine, die beleidigt und damit verletzt. Und gerade diese Kraft, genutzt als rhetorisches Mittel, zeigt, wie sehr sie in Sprache selbst angelegt ist und ihr nicht als etwas Äußerliches zukommt.
Auf rhetorische Mittel wie Ironie, Satire oder auch Polemik wollen wir nicht verzichten, sehen sie als Weg, eine unmittelbare Präsenz erst zu schaffen und Lesende, Hörende und Schauende quasi zu zwingen, eine passive Teilnahmslosigkeit aufzugeben und Stellung zu beziehen. Ob wir von diskriminierender Rhetorik oder gelungener Ironie oder auch personalsatirischer Polemik sprechen – also von uns bewunderten rhetorischen Mitteln –, ist immer abhängig von Ort, Zeit und Situation.
Worte und Bilder auch als Waffe zu benutzen, ist Teil unserer Kultur, und diese Waffe ist eine, die wir im fairen Miteinander durchaus schätzen. Dabei ist uns bewusst, dass satirisch Gemeintes auf den Einzelnen durchaus verletzend wirken kann, denn Satire überschreitet bewusst Grenzen. Was darf Satire? Alles, sagt zumindest Kurt Tucholsky.
Aber Tucholsky hat sein Zitat 1932 ergänzt und gesagt: »Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa der herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.«[3]
Auffällig – auch hier bleibt es ironisch, macht deutlich, dass der Faschismus ein Niveau hat, dem man satirisch nicht mehr begegnen kann. Also nicht nur Ort, Zeit, Situation, sondern auch alles eine Frage des Niveaus?
- [1] Herrmann, Steffen K.; Krämer, Sybille; Kuch, Hannes (Hg.): Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung. Bielefeld 2007. S. 7.
- [2] Gehring, Petra: Über die Körperkraft von Sprache. In: Herrmann, Krämer, Kuch (Hg.), a. a. O., S. 211—228.
- [3] Tucholsky, Kurt: Schnipsel. Reinbek bei Hamburg 1973. S. 119.