2 Verletzungen im Netz
Was geschieht im Netz? Zu bedenken ist, dass die Plattformen des Internets eine rasante Protestmobilisierung und eine Ausdehnung der Kommunikationsräume ermöglichen. Exemplarisch mag dafür die sogenannte »Pegida-Bewegung« (»Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«) stehen: Nachdem zwölf Nutzer auf »Facebook« eine Gruppe gegründet haben, folgen ihnen nur sechs Monate später 10000 Menschen in Dresden. Die sozialen Medien haben ihnen dieses Aufmerksamkeitspotenzial erst ermöglicht. Und wie nutzen sie es?
In einer Seminararbeit hat Alexandra Stalp dies am Beispiel einer »Facebook«-Seite analysiert. Ihr Beispiel ist die Seite einer Pegida und AFD nahestehenden lokalen Gruppe, die ihrer Empörung Ausdruck verleihen wollte, dass der ehemalige Truppenübungsplatz »Stegskopf« im Westerwald 2015 zu einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge umgewandelt werden sollte. Auch als die Aufregung der Bürgerinnen und Bürger längst abgeflaut war, blieb die Seite aktiv. Nur vordergründig geht es um die Vermittlung von Informationen, etwa die Bekanntgabe der Zeiten und Orte von Demonstrationszügen oder auch um das Nennen von eventuell vorhandenen Ängsten. Dagegen wird mit den Ängsten gearbeitet, um rechtsradikale Gedanken »salonfähig« zu machen. Aufbauend auf einem als allgemein gesetzten fehlenden Vertrauen in das Handeln etablierter Parteien, wird suggeriert, dass Politiker das Vertrauen der Bürger missbrauchen und so ihre Rechte im Namen des Volkes zu handeln verspielt hätten. Suggeriert wird also, dass die Seite im Gegensatz hierzu den Bürgern das Wort erteilen würde und nur hier erkennbar sei, was diese wirklich wollen und wieso dieses Wollen sie scheinbar einig auftreten lässt.
Offiziell wurde die Seite eingerichtet, um zu mobilisieren, indem die Zeiten der angemeldeten Demonstrationen publik gemacht wurden. Aber das dahinterstehende Gedankengut wird sofort erkennbar, dies zeigt schon die erste Seite, die Stalp beschreibt: »Das Profilbild zeigt den grünen Umriss des Westerwaldkreises auf schwarz-rot-goldenem Grund. Es ist der Schriftzug ›Der Westerwald wehrt sich!‹ zu erkennen, umrahmt vom Schriftzug ›Bekenntnis zu Deutschland‹ in schwarzer und roter Schrift.«[7] Hinterlegt wurde der Auftritt anfangs mit dem berühmten Gemälde »Die Freiheit führt das Volk« (1830) von Delacroix. Unverfroren werden Freiheitssymbole missbraucht. Später wurde das Bild ausgetauscht mit einem vermeintlichen Bild »der Titanic mit deutscher Flagge auf rotem Grund, der wie ein aufgewühlter Himmel in einem Sturm anmutet. Das Schiff steht in Schieflage, vermutlich ein Verweis darauf, dass Deutschland dem Untergang geweiht ist.«[8]
Auffällig, wie auf vielen solcher Seiten, dass die Betreiber sich nicht eindeutig zu erkennen geben, auch wenn sie bekannt sind. Stattdessen nutzen sie ein leicht verändertes Zitat von Thomas Mann, dessen Interpretation durch die vermeintliche Titanic-Abbildung gelenkt wird: »Wir sind Menschen des Gleichgewichts. Wenn das Boot nach links zu kentern droht, lehnen wir uns automatisch nach rechts und umgekehrt.« Das Zitat lautet im Original: »Ich bin ein Mensch des Gleichgewichts. Ich lehne mich instinktiv nach links, wenn der Kahn rechts zu kentern droht – und umgekehrt.« Es stammt aus einem Brief vom 20.2.1934 an Karl Kerényi.[9]
Wie selbstverständlich arbeitet die Seite mit Diskriminierungen. So werden Bilder genutzt, um Flüchtlinge generell unter Terrorverdacht zu stellen, Muslime als grundsätzlich intolerant und gefährlich darzustellen. Es sind Bilder, die sich mittlerweile gehäuft in Netzwelten finden lassen und die als Ausdruck von Emotion legitimiert werden, ohne sich auf Argumente und Tatsachen überhaupt einzulassen. Auffällig auch der Umgang mit Bildern, die anderen Seiten entnommen werden und die als Bild alleine keine abfällige Wirkung entfalten würden. Diese wird erreicht, indem die Bilder kommentiert werden, und dies scheinbar unverfänglich in Form der Frage. So werden etwa Bilder aus »focus.de« mit rhetorischen Fragen unterlegt. Exemplarisch mag hier die Äußerung auf einen Artikel in »Focus« über eine gewaltsame Auseinandersetzung auf einem Karnevalsumzug stehen (Abbildung 1); die Kommentierung lautet: »Wieder eine Gruppe junger Männer! Wer das wohl war? Keine Täterbeschreibung. Das vermeiden sie tunlichst, wenn es sich um Asylanten handelt.«
Dass die Täter Asylsuchende waren, wird unterstellt, nach dem Schema – wenn sie nicht genannt werden, dann sind es Asylsuchende. Leicht lässt sich an Vorurteile anknüpfen, um, ohne es explizit zu sagen, Asylbewerber als Kriminelle darzustellen, die etablierten Medien als Lügner und von der Politik gesteuert und damit zugleich die Politikerinnen und Politiker als unehrenhaft. Sich topisches Denken zu Nutze zu machen, scheinen die Betreiber solcher Seiten zu beherrschen, und so scheint die genaue Beschreibung des Tathergangs bezwecken zu wollen, dass die User nicht weiter recherchieren oder nachfragen. Ihnen wird suggeriert, dass sie die Wahrheit nur auf solchen Seiten erfahren, sie sich am besten nur in diesen Kreisen informieren und als Folge auch befähigt seien, wiederum Kommentare zu schreiben. Es ist dies der Mechanismus, der soziale Netzwerke wie etwa »Facebook« zur Echokammer macht und derart für viele User zum Ersatz für die traditionellen Medien.
Je nach User-Gruppe werden schon bestehende Vorurteile verstärkt, Informationen unterdrückt und zu Kommentaren aufgefordert, deren Sprache bis vor Kurzem noch als nicht gesellschaftsfähig angesehen wurde und die heute mit der Floskel »Das wird man ja wohl noch einmal sagen dürfen« als legitim verkauft werden.
- [7] Stalp, Alexandra: Die »Facebook«-Seite »Bekenntnis zu Deutschland – Stegskopf, wir sagen Nein« – rechtes Gesinnungswerk oder bürgerlicher Protest im Social Web. Unveröffentlichte BA-Arbeit an der Universität Koblenz-Landau, 2017.
- [8] ebd.
- [9] Quelle: Wysling, Hans: Thomas Mann, Studien, Narzissmus und illusionäre Existenzform. Frankfurt am Main 1995. S. 210.