Die Verletzung anderer wird auffällig, wenn der Zusammenhang beachtet wird: »Wir und nicht etwa alle sind das Volk.« Erst im Gesamt der »Facebook«-Seite wird deutlich, was gemeint ist. Explizit wendet man sich gegen die Vorstellung, auch Nicht-Bio-Deutsche könnten zum Volk gehören, dies ist eine Interpretation, die sich aus den vielen Botschaften zur Flüchtlingsdebatte erst ergibt.
Um meine These zu belegen, hier die Reaktion eines »Facebook«-Nutzers auf dieses Plakat, der mit Hilfe der Kommentarfunktion reagierte:
»Wer meint es ist alles halb so schlimm der fährt mal sonntags mit der bahn [sic!] ins Ruhrgebiet. .…50% der Fahrgäste waren Wirtschaftsasylanten ..sehr viele davon aus Afrika. ..da kann einem echt Angst und Bange werden. .man fühlt sich als fremder in eigenem land..[sic!] wenn man überlegt das die alle auf Kosten der Allgemeinheit leben.…und nein das ist keine Hetze das ist Realität.«[12]
Freilich handelt es sich nur um Schlaglichter, die auf die Problematik hinweisen. Was passiert nun in sozialen Netzwerken, in denen die von den Kommentaren ausgehenden Verletzungen zum sogenannten shitstorm werden können und dies durchaus auch in scheinbar sehr privaten Bereichen?
3 Der shitstorm
In der Teilöffentlichkeit des social web kann eine kritische Äußerung, die auf einen konkreten Sachverhalt bezogen ist, die Form einer öffentlichen Debatte annehmen, die emotional aufgeheizt wird, dadurch zu einer immer aggressiveren Sprache führt, bis sprachliche Verletzungen zum Kernpunkt der Auseinandersetzung werden. Die Teilnehmenden bewerten das Handeln einer Person oder auch einer Institution oder eines Unternehmens als Fehlverhalten, wollen sich entrüsten und nutzen hierfür die Möglichkeiten der Social-Web-Anwendungen. Eingebürgert hat sich hierfür der von Sascha Lobo auf der re publica 2010 erstmals genutzte Begriff »shitstorm«. Er selbst erklärte ihn als Begriff für einen Prozess, in dem in einem kurzen »Zeitraum eine subjektiv große Anzahl von kritischen Äußerungen getätigt wird, von denen sich zumindest ein Teil vom ursprünglichem Thema ablöst und stattdessen aggressiv, beleidigend, bedrohend oder anders attackierend geführt wird.«[13]
Ist die Welle der Beschimpfungen, Anfeindungen oder auch Verteidigungen des oder der Angegriffenen erst einmal losgegangen, wird es immer schwieriger, zwischen Angreifer und Opfer oder auch zwischen aktiven und passiven Teilnehmenden zu unterscheiden. Jeder, der sich in irgendeiner Form an dieser »Debatte« beteiligt, kann zu Täter oder Opfer werden. Adressaten sind nicht allein die, die eines Fehlverhaltens bezichtigt werden, sondern die ganze community. Sie wird quasi zur Stellungnahme herausgefordert und jede passive Teilnahme kann sowohl Zustimmung als auch Ablehnung sein, befeuert auf ihre Weise den shitstorm. Aktiv wird jeder, der eine Bewertung vornimmt, also sich allein durch den Button »gefällt mir« oder »gefällt mir nicht« beteiligt. Schon sich über Twitter spontan über etwas zu empören, kann als Folge Reaktionen auslösen, die nach der tatsächlichen Begebenheit nicht einmal mehr fragen.
Der Angriff erfolgt immer öffentlich, er richtet sich nie allein an den oder die Angesprochene, sondern immer auch an die Teilöffentlichkeit der Plattform. Fühlt sich aus dieser Öffentlichkeit jemand berufen, Stellung zu beziehen, sei es in Sympathie mit Angreifer oder Opfer, trägt er automatisch zur Ausbreitung der Debatte bei. Derjenige, der zum Auslöser der Beschimpfungen wurde, ist dann schnell nicht mehr Teilnehmender, es wird über ihn geurteilt, er wird quasi zur dritten Person.
Eine Plattform bietet den Nutzern des Internets die Möglichkeit einer öffentlich zugänglichen Kommunikation, wobei die Infrastruktur die Nutzungspraktiken vorgibt und damit den Rahmen schafft, in dem sich die Strukturen der Nutzer hin zu einer community herausbilden. Auch wenn die Interaktion zwischen zwei Nutzern begonnen hat, kann diese auf die Ebene der gesamten community übergreifen. Und sollte jemand, die dort erfahrenden Informationen an eine andere Netzöffentlichkeit weitergeben, so wird die Öffentlichkeit erweitert, selbst wenn es darum geht, Formen eines shitstorms zu analysieren oder auch zu kritisieren.
So kann es geschehen, dass etwas, das normalerweise als privat oder persönlich bewertet wird, in den öffentlichen Blick gerät. Jan Schmidt spricht hier vom Entstehen einer »Arena der persönlichen Öffentlichkeit« und bezeichnet damit das »Geflecht von online zugänglichen kommunikativen Äußerungen zu Themen von vorwiegend persönlicher Relevanz, mit deren Hilfe Nutzer Aspekte ihrer Selbst ausdrücken und sich ihrer Position in sozialen Netzwerken vergewissern.«[14] Ganz freiwillig werden hier eigentlich private Inhalte zu öffentlichen gemacht.
- [12] https://www.»Facebook«.com/alternativefuerde/photos/a.542889462408064.1073741828.540404695989874/1247377368625933/?type=3&theater; 16.2.2017.
- [13] Lobo, Sascha: How to survive a shitstorm. In: Vortrag auf der re:publika 2010. 21.4.2010. https://www.youtube.com/watch?v=-OzJdA-JY84; abgerufen 16.3.2018.
- [14] Schmidt, Jan: Das neue Netz. Merkmale, Politik und Folgen des Web 2.0. Köln: Herbert von Halem, 2017(2). S. 107.