Ein weiteres Beispiel für phronesis lässt sich in dem »Inside NCTC« Video finden. Dort wird u. a. das sogenannte Operation Center gezeigt (Abb. 7).
Das ist der Ort, an dem die Gefährdungsberichte ankommen, analysiert und an die entsprechenden Stellen weitergeleitet werden. Das Operation Center wirkt sehr technisch. Es scheint dort kein Tageslicht zu geben. Die Lichtstimmung ist düster und bläulich mit roten Signalanzeigen. Überall stehen Computer, und Bildschirme hängen an den Wänden. An der Decke sieht man metallene Rohre oder die Versorgungsleitungen. Die technische Wirkung und Ausstattung des Operation Centers stärkt das Ethos des NCTC auch in Bezug auf allgemeine technische Expertise.
Als wichtigen Topos in der Kommunikation des NCTC hatte ich außerdem den Topos von Gut gegen Böse (als Topos der relativen Gegensätze) herausgearbeitet. Dieser wird am deutlichsten bei der Darstellung des »Rewards for Justice Program«. In Abbildung 8 oben sind wieder zwei Doppelseiten aus dem Print Kalender.
Jeweils auf der Doppelseite links sind Steckbriefe zu gesuchten mutmaßlichen Terroristen – rechts ist jeweils der Wochenkalender. Die Gestaltung ist sehr sachlich, typografisch, und die Steckbriefe sind in Tabellenform angelegt. Die Gestaltung ist also dem Logos-Appell zuzuordnen. Unten ist die Darstellung des »Rewards for Justice Programm«, wie sie sich in dem Counter Terrorism Guide darstellt. Die Gestaltung hier ist deutlich emotionaler und kontrastreicher und zielt darauf ab, bei den Rezipienten Unbehagen zu erzeugen z. B. durch den dunklen, diffus beleuchteten und zerkratzten Hintergrund. Das »Rewards for Justice Program« hat hier ein eigenes Logo (Abb. 9), das durch das hervorgehobene »Wanted« und die gewählte Schriftart die Assoziation mit den Kopfgeld-Steckbriefen des Wilden Westens weckt.
Hier lässt sich die Strategie aretē, also die Demonstration von Tugenden, finden – in diesem Fall die Demonstration von Gerechtigkeit.
Aus einer deutsch-europäischen Perspektive stellt sich die Frage, ob die Stilmittel und die hohe Stilebene der Website »Counter Terrorism Guide« das Kriterium der Angemessenheit erfüllen, jedenfalls im Hinblick auf das selbst definierte Zielpublikum:
“The US National Counterterrorism Center (NCTC) is pleased to present the International Terrorism Guide Website, a ready reference guide for law enforcement, intelligence, military and security personnel, contingency planners, or citizens concerned about international terrorist threats.”[6]
Die direkte Aufforderung auf der Startseite: »Take a closer look into the faces of global terrorism« verbunden mit der Fernglas-Metonymie und den unscharf angedeuteten Porträts im Hintergrund sollen Aufmerksamkeit und Interesse wecken und die Rezipienten dazu verleiten auf den »Find out more« Button zu klicken (Abb. 10).
Dieser Link führt zu einer Seite mit einer Terroristenkartei (Abb. 11).
Auf den Schwarz-Weiß-Porträts der mutmaßlichen Terroristen ist mittels Farbcode und Symbolen vermerkt, ob diese gefasst, getötet worden oder noch flüchtig sind. In Verbindung mit der Verbrecherkartei bekommt die Aufforderung des genauen Hinsehens eine voyeuristische Konnotation, und die Seite mit den Terroristen wirkt wie eine Trophäensammlung. Hier ist eine Ähnlichkeit mit der visuellen Darstellung von Terroristen zu erkennen, da z. B. Anhänger des IS von ihnen Getötete zur Schau stellen und ihre »Erfolge« präsentieren, indem sie sich mit den Opfern fotografieren lassen.