Essay
Wie werden Bilder für Argumentationen verwendet?
Über Semiotik und Rhetorik in der visuellen Kommunikation
1 Logik und visuelle Argumentation
Bilder, seien es unbewegte oder bewegte, erhalten in der computerunterstützten Kommunikation der postmodernen Weltgesellschaft eine zunehmend bedeutungsvollere Position hinsichtlich ihrer Quantität, Qualität und auch ihrer argumentativen Autorität. Im Journalismus werden Bilder beispielsweise als Realitätsbeweise herangezogen. Im Marketing sollen Bilder den Kunden zum Kauf anregen und in der Public Relations ein positives Image etablieren. Und die Social Media würden ohne Bilder das Potential ihrer transkulturell vermittelnden Wirkung verlieren, eine kulturelle Globalisierung von Design – und Lebensstilen zu manifestieren. Manchmal unterstützen Bilder auch eine postfaktische Kommunikation, die kraft Emotionalisierung und scheinbaren Evidenz versucht zu überreden, aber die infolge einer verbalen Logik und Argumentation kaum überzeugen kann. Hinsichtlich all dieser Bildverwendungen drängt die Frage: Worin besteht der Erfolg visueller Argumentation? Die Akteure verwenden Bilder mit der Absicht, einen Sachverhalt darzulegen und kommunikativ mitzuteilen. Sie betreiben eine visuelle Argumentation, um ihre kommunikativen Ziele zu erreichen. Aber wie und was kann als visuelle Argumentation gelten? Welcher Logik und welcher Rhetorik folgt die visuelle Argumentation und wie wird sie strategisch eingesetzt? Und zu fragen ist auch: Welche Zeichen müssen Bilder tragen, um Recht in einem Diskurs zu behalten?
Der folgende Text erörtert Begriffe, mit denen über Bilder gesprochen wird, obgleich die Anschauung von Bildern notwendig eine andere Praxis beinhaltet als eine Theorie. In diesem Sinne orientiert sich der Text an dem philosophischen Diktum von Immanuell Kant: »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.«[1] Um die aufgezeigten Fragen zu beantworten, wird im Folgenden zunächst rekapituliert, warum Bilder nicht den Kriterien standhalten, die in der formalen Logik der Philosophie für eine Aussagenlogik und Prädikatenlogik notwendig sind. Im Anschluss daran wird dargelegt, wie die Semiotik eine Bildlogik stützt, die den Begriff der Logik im Sinne seiner altgriechischen Herkunft als denkende Kunst, Vorgehensweise, Folgerichtigkeit oder vernünftige Schlussfolgerung bezeichnet.[2] Die Bildlogik als denkende Kunst zu beschreiben, obgleich sie ohne eine Logik der Verbalisierungen und damit der Sprache auskommt, mutet unproblematisch an, da ausschließlich der Homo Sapiens Bilder als Zeichen erstellen kann und sie für die zwischenmenschliche Kommunikation nutzt. So soll der Zweck der Zeichentheorie darin bestehen, die Logik visueller Argumentation zu klären.
Für viele Akteure gehört es zur alltäglichen Praxis, visuell zu denken und kommunikativ mittels Bildern zu handeln. Oft möchten Bildhandelnde mittels visueller Argumentation jemanden davon überzeugen, wie etwas aussieht, wie etwas existiert und wie über etwas zu denken ist. Deshalb lautet die finale Frage folgender Überlegungen: Wie folgen Bilder ihrer Logik, die ihnen unterschiedliche Formen der visuellen Argumentationen erlauben? Um dieses Ergebnis zu erlangen, gehen dem Fragen voraus, die klären, wie logische Argumentationen mittels Worten in einer Sprache aufgebaut sind. Die Analogie zwischen Sprache und Bildsprache hat zwar in der Bildwissenschaft nur zu Missverständnissen[3] geführt, weil Bilder sich nicht als eine Sprache definieren lassen, trotzdem bietet die Argumentationstheorie der sprachbasierten Logik einige Hinweise, worauf eine bildbasierte Logik zu achten hat.
1.1 Bildbasierte Logik
Sehr vereinfacht, aber ohne weitreichende Erklärungskraft lässt sich der pragmatische Umgang mit visueller Argumentation mit Birdsell and Groarke folgendermaßen beschreiben: »We understand visual arguments to be arguments (in the traditional premise and conclusion sense) which are conveyed in images.«[4] Solche tautologischen Erklärungen folgen der alltäglichen Beobachtung, dass Bilder in der Praxis als visuelle Argumente verwendet werden und deshalb auch Argumente sein sollen. Dieser rhetorische Trick lässt sich leicht durchschauen, weil dann ebenfalls ein Faustschlag auf das Auge eines Antagonisten derart evident bzw. empirisch bedeutsam wirkt, um ihn im ansonsten sprachlichen Dissens von der eigenen Meinung final zu überzeugen. Ein solch »überwältigendes Argument«, wie man es im Deutschen umgangssprachlich benennt, kann eingesetzt werden, um seinen Antagonisten mittels Evidenz ohne weitere Argumente zu überzeugen. Handlungen oder bildhafte Zeichen müssen sich nicht als Argumente definieren lassen, obgleich sie im Alltag scheinbar wie Argumente wirken. Hinzukommt, worauf Roque hinweist, dass die Benennung des visuellen Kanals nicht ausreicht, um die visuelle Argumentation als solche zu definieren.[5] Das visuelle Medium Bild vermittelt immer die Botschaft, dass etwas visuell präsent wird, ohne dass eine Argumentation in propositionalen Sprechakten dem gleichkommen könnte oder sollte. Beispielsweise bietet das Bild »Feldhase« von Albrecht Dürer eine Evidenz, die überzeugt, weil sie im Jahre 1502 mittels einer fotorealistischen Darstellung visuell argumentiert, wie ein Feldhase so realistisch wie möglich per Ähnlichkeit bezeichnet werden kann. Hier wirkt die visuelle Präsenz eines Bildes evident, weil Betrachter ohne Worte verstehen und gegebenenfalls reagieren, obwohl sie für das Gesehene noch keine Worte finden oder gar Argumente erkennen.
Die Evidenz – im Sinne einer anschauenden Gewissheit – beschreibt die »broader category«[6], die verständlich macht, dass Betrachter beispielsweise ein Foto als einen empirischen Beweis für die Existenz von etwas anerkennen und dies unbezweifelbar Erkennbare als Wort in ihre verbale Argumentation einfügen. Wenn ein Bild auf Rezipienten wirkt, als ob es ein Argument sei, dann ist dies aber kein Beweis dafür, dass es notwendig den Begriffsabgrenzungen des Arguments folgt, wie sie die Philosophie der Logik definiert. Wenn Bilder wie »schlagende Argumente« verwendet werden, dann kann ihre Evidenz überzeugen, ohne dass es sprachwissenschaftlichen oder philosophischen Definitionen eines Arguments entspricht. Es wird sich an späterer Stelle zeigen, wie Bilder als »schlagende Argumente« eine Plausibilität und Evidenz anbieten, die die Zustimmungsbereitschaft bei Rezipienten zweifellos erhöht. Insofern führt Scholz mit der Darstellung der Neuen Rhetorik von Chaïm Perelman [7] auf die wegweisende Spur, dass »zwischen der Wahrheit einer These und Zustimmungsbereitschaft zu einer These zu unterscheiden«[8] sei.