Essay

Wie werden Bilder für Argumentationen verwendet?

Über Semiotik und Rhetorik in der visuellen Kommunikation

Von Andreas Schelske


1 Logik und visu­el­le Argumentation

Bil­der, sei­en es unbe­weg­te oder beweg­te, erhal­ten in der com­pu­ter­un­ter­stütz­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on der post­mo­der­nen Welt­ge­sell­schaft eine zuneh­mend bedeu­tungs­vol­le­re Posi­ti­on hin­sicht­lich ihrer Quan­ti­tät, Qua­li­tät und auch ihrer argu­men­ta­ti­ven Auto­ri­tät. Im Jour­na­lis­mus wer­den Bil­der bei­spiels­wei­se als Rea­li­täts­be­wei­se her­an­ge­zo­gen. Im Mar­ke­ting sol­len Bil­der den Kun­den zum Kauf anre­gen und in der Public Rela­ti­ons ein posi­ti­ves Image eta­blie­ren. Und die Social Media wür­den ohne Bil­der das Poten­ti­al ihrer trans­kul­tu­rell ver­mit­teln­den Wir­kung ver­lie­ren, eine kul­tu­rel­le Glo­ba­li­sie­rung von Design – und Lebens­sti­len zu mani­fes­tie­ren. Manch­mal unter­stüt­zen Bil­der auch eine post­fak­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on, die kraft Emo­tio­na­li­sie­rung und schein­ba­ren Evi­denz ver­sucht zu über­re­den, aber die infol­ge einer ver­ba­len Logik und Argu­men­ta­ti­on kaum über­zeu­gen kann. Hin­sicht­lich all die­ser Bild­ver­wen­dun­gen drängt die Fra­ge: Wor­in besteht der Erfolg visu­el­ler Argu­men­ta­ti­on? Die Akteu­re ver­wen­den Bil­der mit der Absicht, einen Sach­ver­halt dar­zu­le­gen und kom­mu­ni­ka­tiv mit­zu­tei­len. Sie betrei­ben eine visu­el­le Argu­men­ta­ti­on, um ihre kom­mu­ni­ka­ti­ven Zie­le zu errei­chen. Aber wie und was kann als visu­el­le Argu­men­ta­ti­on gel­ten? Wel­cher Logik und wel­cher Rhe­to­rik folgt die visu­el­le Argu­men­ta­ti­on und wie wird sie stra­te­gisch ein­ge­setzt? Und zu fra­gen ist auch: Wel­che Zei­chen müs­sen Bil­der tra­gen, um Recht in einem Dis­kurs zu behalten?

Der fol­gen­de Text erör­tert Begrif­fe, mit denen über Bil­der gespro­chen wird, obgleich die Anschau­ung von Bil­dern not­wen­dig eine ande­re Pra­xis beinhal­tet als eine Theo­rie. In die­sem Sin­ne ori­en­tiert sich der Text an dem phi­lo­so­phi­schen Dik­tum von Imma­nu­ell Kant: »Gedan­ken ohne Inhalt sind leer, Anschau­un­gen ohne Begrif­fe sind blind.«[1] Um die auf­ge­zeig­ten Fra­gen zu beant­wor­ten, wird im Fol­gen­den zunächst reka­pi­tu­liert, war­um Bil­der nicht den Kri­te­ri­en stand­hal­ten, die in der for­ma­len Logik der Phi­lo­so­phie für eine Aus­sa­gen­lo­gik und Prä­di­ka­ten­lo­gik not­wen­dig sind. Im Anschluss dar­an wird dar­ge­legt, wie die Semio­tik eine Bild­lo­gik stützt, die den Begriff der Logik im Sin­ne sei­ner alt­grie­chi­schen Her­kunft als den­ken­de Kunst, Vor­ge­hens­wei­se, Fol­ge­rich­tig­keit oder ver­nünf­ti­ge Schluss­fol­ge­rung bezeich­net.[2] Die Bild­lo­gik als den­ken­de Kunst zu beschrei­ben, obgleich sie ohne eine Logik der Ver­ba­li­sie­run­gen und damit der Spra­che aus­kommt, mutet unpro­ble­ma­tisch an, da aus­schließ­lich der Homo Sapi­ens Bil­der als Zei­chen erstel­len kann und sie für die zwi­schen­mensch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on nutzt. So soll der Zweck der Zei­chen­theo­rie dar­in bestehen, die Logik visu­el­ler Argu­men­ta­ti­on zu klären.

Für vie­le Akteu­re gehört es zur all­täg­li­chen Pra­xis, visu­ell zu den­ken und kom­mu­ni­ka­tiv mit­tels Bil­dern zu han­deln. Oft möch­ten Bild­han­deln­de mit­tels visu­el­ler Argu­men­ta­ti­on jeman­den davon über­zeu­gen, wie etwas aus­sieht, wie etwas exis­tiert und wie über etwas zu den­ken ist. Des­halb lau­tet die fina­le Fra­ge fol­gen­der Über­le­gun­gen: Wie fol­gen Bil­der ihrer Logik, die ihnen unter­schied­li­che For­men der visu­el­len Argu­men­ta­tio­nen erlau­ben? Um die­ses Ergeb­nis zu erlan­gen, gehen dem Fra­gen vor­aus, die klä­ren, wie logi­sche Argu­men­ta­tio­nen mit­tels Wor­ten in einer Spra­che auf­ge­baut sind. Die Ana­lo­gie zwi­schen Spra­che und Bild­spra­che hat zwar in der Bild­wis­sen­schaft nur zu Miss­ver­ständ­nis­sen[3] geführt, weil Bil­der sich nicht als eine Spra­che defi­nie­ren las­sen, trotz­dem bie­tet die Argu­men­ta­ti­ons­theo­rie der sprach­ba­sier­ten Logik eini­ge Hin­wei­se, wor­auf eine bild­ba­sier­te Logik zu ach­ten hat.

1.1 Bild­ba­sier­te Logik

Sehr ver­ein­facht, aber ohne weit­rei­chen­de Erklä­rungs­kraft lässt sich der prag­ma­ti­sche Umgang mit visu­el­ler Argu­men­ta­ti­on mit Bird­sell and Gro­ar­ke fol­gen­der­ma­ßen beschrei­ben: »We under­stand visu­al argu­ments to be argu­ments (in the tra­di­tio­nal pre­mi­se and con­clu­si­on sen­se) which are con­vey­ed in images.«[4] Sol­che tau­to­lo­gi­schen Erklä­run­gen fol­gen der all­täg­li­chen Beob­ach­tung, dass Bil­der in der Pra­xis als visu­el­le Argu­men­te ver­wen­det wer­den und des­halb auch Argu­men­te sein sol­len. Die­ser rhe­to­ri­sche Trick lässt sich leicht durch­schau­en, weil dann eben­falls ein Faust­schlag auf das Auge eines Ant­ago­nis­ten der­art evi­dent bzw. empi­risch bedeut­sam wirkt, um ihn im ansons­ten sprach­li­chen Dis­sens von der eige­nen Mei­nung final zu über­zeu­gen. Ein solch »über­wäl­ti­gen­des Argu­ment«, wie man es im Deut­schen umgangs­sprach­lich benennt, kann ein­ge­setzt wer­den, um sei­nen Ant­ago­nis­ten mit­tels Evi­denz ohne wei­te­re Argu­men­te zu über­zeu­gen. Hand­lun­gen oder bild­haf­te Zei­chen müs­sen sich nicht als Argu­men­te defi­nie­ren las­sen, obgleich sie im All­tag schein­bar wie Argu­men­te wir­ken. Hin­zu­kommt, wor­auf Roque hin­weist, dass die Benen­nung des visu­el­len Kanals nicht aus­reicht, um die visu­el­le Argu­men­ta­ti­on als sol­che zu defi­nie­ren.[5] Das visu­el­le Medi­um Bild ver­mit­telt immer die Bot­schaft, dass etwas visu­ell prä­sent wird, ohne dass eine Argu­men­ta­ti­on in pro­po­si­tio­na­len Sprech­ak­ten dem gleich­kom­men könn­te oder soll­te. Bei­spiels­wei­se bie­tet das Bild »Feld­ha­se« von Albrecht Dürer eine Evi­denz, die über­zeugt, weil sie im Jah­re 1502 mit­tels einer foto­rea­lis­ti­schen Dar­stel­lung visu­ell argu­men­tiert, wie ein Feld­ha­se so rea­lis­tisch wie mög­lich per Ähn­lich­keit bezeich­net wer­den kann. Hier wirkt die visu­el­le Prä­senz eines Bil­des evi­dent, weil Betrach­ter ohne Wor­te ver­ste­hen und gege­be­nen­falls reagie­ren, obwohl sie für das Gese­he­ne noch kei­ne Wor­te fin­den oder gar Argu­men­te erkennen.

Die Evi­denz – im Sin­ne einer anschau­en­den Gewiss­heit – beschreibt die »broa­der cate­go­ry«[6], die ver­ständ­lich macht, dass Betrach­ter bei­spiels­wei­se ein Foto als einen empi­ri­schen Beweis für die Exis­tenz von etwas aner­ken­nen und dies unbe­zwei­fel­bar Erkenn­ba­re als Wort in ihre ver­ba­le Argu­men­ta­ti­on ein­fü­gen. Wenn ein Bild auf Rezi­pi­en­ten wirkt, als ob es ein Argu­ment sei, dann ist dies aber kein Beweis dafür, dass es not­wen­dig den Begriffs­ab­gren­zun­gen des Argu­ments folgt, wie sie die Phi­lo­so­phie der Logik defi­niert. Wenn Bil­der wie »schla­gen­de Argu­men­te« ver­wen­det wer­den, dann kann ihre Evi­denz über­zeu­gen, ohne dass es sprach­wis­sen­schaft­li­chen oder phi­lo­so­phi­schen Defi­ni­tio­nen eines Argu­ments ent­spricht. Es wird sich an spä­te­rer Stel­le zei­gen, wie Bil­der als »schla­gen­de Argu­men­te« eine Plau­si­bi­li­tät und Evi­denz anbie­ten, die die Zustim­mungs­be­reit­schaft bei Rezi­pi­en­ten zwei­fel­los erhöht. Inso­fern führt Scholz mit der Dar­stel­lung der Neu­en Rhe­to­rik von Chaïm Perel­man [7] auf die weg­wei­sen­de Spur, dass »zwi­schen der Wahr­heit einer The­se und Zustim­mungs­be­reit­schaft zu einer The­se zu unter­schei­den«[8] sei.