1.3 Was meint Logik als Bildlogik?
Die formale Aussagen- und Prädikatenlogik der Philosophie bietet keine theoretische Basis, um eine visuelle Argumentation zu begründen. Genaugenommen entlarvt sie alle Bemühungen, eine visuelle Argumentation oder eine Bildlogik behaupten zu wollen. Was bedeutet es dann aber, wenn Autoren über die Bildlogik oder visuelle Argumentation wissenschaftlich schreiben? Ist hier von einer unglücklich gewählten Metapher die Rede, um mittels eines rhetorischen Kunstgriffs den wissenschaftlich hohen Rang eines logischen Arguments auch für eine visuelle Argumentation geltend zu machen, obgleich die Ursprungsdisziplin der philosophischen Aussagen- und Prädikatenlogik solche Ausdrucksweisen ablehnt? Beispielsweise wies schon Arthur Schoppenhauer daraufhin, dass Logik und Dialektik als Synonyme im antiken Griechenland gebraucht wurden.[21] Mit Logik wurden die Gesetze des Denkens und Verfahren benannt. Die Dialektik sollte indessen die Unterredung über Tatsachen kennzeichnen. Diese historische Entwicklung der Begriffe hat vermutlich dazu geführt, dass der Begriff »Logik« als Denklehre, Vorgehensweise und schließlich Folgerichtigkeit des vernünftigen Schließens interpretiert wurde. Von einer solchen Interpretation aus scheint es weniger problematisch den Begriff der Bildlogik metaphorisch zu interpretieren und ihn als Folgerichtigkeit der bildbasierten Kommunikation zu verstehen. Es deshalb allenfalls ein Witz, den Begriff der Bildlogik so zu deuten, als ob er der Folgerichtigkeit der Aussagen oder Prädikatenlogik folgt oder folgen könnte. Eher metaphorisch versteht sich auch die Formulierung, »Logik« sei die »konsistente Erzeugung von Sinn aus genuin bildnerischen Mitteln«[22], wie sie Heßler und Mersch einbringen. Die Bildlogik meint dort eine gewisse Folgerichtigkeit, die sich aus den Darstellungsweisen der Bilder für den Bildkommunikator oder für den Bildrezipienten ergibt. Mit dem Begriff Bildlogik soll deshalb in weiterer Verwendung lediglich eine gewisse Folgerichtigkeit einer Interpretation benannt werden, wobei die formale Logik notwendig nicht impliziert ist. Bilder gelten oder beweisen etwas immer nur dann als ein Argument, wenn sie mittels der verbalen Sprache in einen Kontext der formallogischen Argumentation gesetzt wurden. Ein Bild ohne den Kontext, also ohne den sozial eingeübten Handlungsrahmen seiner Wissensrepräsentation im Sinne eines »frames«[23], verfügt über keine Beweiskraft als formallogisches Argument.
In eher metaphorischer Interpretation wirkt der Begriff der visuellen Argumentation nachvollziehbarer, wenn er impliziert, dass die Bildlogik eine Folgerichtigkeit beschreibt, die erwarten lässt, dass Rezipienten von einer bildhaften Evidenz überzeugt oder verführt werden könnten. Doch keinesfalls vermag visuelle Argumentation die konsequente Notwendigkeit auszuüben, die logische Ausdrücke wie beispielsweise »wenn/dann« in Sprachgemeinschaften durchsetzen. Diese Evidenz einer Logik von Bildern hat mit einer formalen Sprachlogik wenig gemeinsam. Heßler und Mersch weisen zwar nachvollziehbar darauf hin, dass die dichotomische Unterscheidungen zwischen den Sprachen als das Logische und den Bildern als das A-Logische wenig haltbar sein sollen, aber umso deutlicher ist darauf zu verweisen, dass die Logik von Bildern etwas sehr anderes als die formale Logik der Sprache impliziert.[24] Denn eine Logik von Bildern, wenn man sie so wie Heßler und Mersch definieren möchte, bezieht sich zweifellos darauf, dass Bilder immer Sinn erzeugen und auch etwas – z. B. mittels eines Fotos – beweisen, aber ohne die Übersetzung in die Worte einer Sprache bleiben sie außerhalb einer Zeichenfolge, die sinnvoll als eine Argumentation begriffen werden kann. Werden Bilder in verbale Sätze übersetzt, dann erhalten sie die Logik der Sprache und verlieren ihre Logik von Bildern.[25]
Bilder verwendet die postmoderne Weltgesellschaft so immens erfolgreich, weil sie über politische Grenzen hinweg andere Nachrichten bieten als es Worte der menschlichen Sprachen vermögen. Diese alltägliche Beobachtung destabilisiert die Aussage von Heßler und Mersch, dass Aspekte eines »engen Logikbegriffs«[26] auf Bilder trotzdem zutreffen würden, weil sie in dem anders sein doch irgendwie auch gleiches wie die Sprache leisten würden. Das bildspezifische Sinnangebot an Bildrezipienten mag sich als Logik von Bildern in einer handlungsspezifischen Folgerichtigkeit definieren lassen, aber um visuelle Kommunikation theoretisch zu beschreiben, führen alle weiteren Anleihen an die formale Sprachlogik allenfalls zu wissenschaftlichen Projektionen, die die bildvermittelte Kommunikation überformen, um deren mediale Macht zutreffend zu betiteln, aber gleichzeitig deren mediale Methodik zu verkennen. Um die Macht der Bilder zu verstehen, benötigt es einer Darlegung des bildspezifischen Sinnangebots, das eine spezifischen Logik von Bildern im Sinne einer erwartbaren Folgebereitschaft der Rezipienten inhäriert und insofern eine visuelle Argumentation aufbaut, die mittels der Evidenz eines »überwältigendes Arguments« jede formale Logik einer Sprache unterläuft. Wie diese visuelle Argumentation als »überwältigendes Argument« verläuft, kann in Orientierung an der Zeichentheorie von Peirce[27] im Folgenden aufgezeigt werden.
2 Syntaktik der visuellen Argumentation
Eine postulierte Bildlogik auf der syntaktischen Ebene muss aufzeigen können, wie Form und Farbe im bildhaften Medium gegliedert werden, um eine Folgebereitschaft der Bildrezipienten zu erwirken. Denn insbesondere die Befürworter der visuellen Argumentation stellen immer auf das bildhafte Medium ab, wie Dove bemerkt, um die Überzeugungskraft des visuell Wahrnehmbaren zu unterstreichen.[28] Hierin zeigt sich auch, das die visuelle Argumentation anders als eine formal logische Argumentation überzeugt, weil letzterer Begriff gerade nicht das Medium thematisiert, sondern den grammatischen Aufbau der Bezeichnungen und Bedeutungen einer Zeichengliederung. Eine Sprachlogik unterscheidet sich von einer Bildlogik darin, dass diese im Unterschied zur Sprachlogik mit ihrer wahrnehmbaren Materialität zu überzeugen versucht. Diese bildhafte Form visueller Argumentation steht in Abhängigkeit ihres Mediums, weil sie als »überwältigendes Argument« ihre Materialität und deren syntaktischen Aufbau auf den Betrachter wirken lassen muss und damit eine anschließende, formal logische Argumentation intendiert zu unterbinden versucht – wie es eben auch eine Faust auf das Auge des Betrachters erledigen würde, um Recht zu erhalten. Um aber als »überwältigendes Argument« eine kommunikative Geltung zu erlangen, muss der syntaktische Aufbau von Farbe und Form einer kulturellen Regel folgen.[29]
Die bedeutsamste, visuelle Argumentation einer Regelhaftigkeit auf syntaktischer Ebene in der gegenwärtigen Weltgesellschaft demonstriert die Zentralperspektive tagtäglich.[30] Das Objektiv einer Fotokamera stabilisiert einerseits die Erwartung, dass die Syntaktik der Zentralperspektive regelkonform eingehalten wird. Und auf diese Weise ordnet die Zentralperspektive eines Kameraobjektives andererseits die syntaktischen Formen auf einem Foto derart überzeugend, dass Rezipienten weltweit meinen, die Objekte sehen mehr oder weniger so aus, wie sie im Medium einer Fotografie ikonisch sichtbar werden.[31] Als eine Regel inszeniert die Zentralperspektive eine Folgebereitschaft, die der spezifischen Bildlogik des Fotos geschuldet ist, dass ein Realitätsbeweis mit einem Foto oder Videobild möglich und argumentativ gültig ist. Medienmanipulationen unterminieren zwar das Vertrauen in den Fotobeweis vereinzelt, aber letztlich erschüttern auch die computergenerierten Bilder eines Deepfakes kaum die sozialisierte Zuversicht, dass Fotos etwas Sichtbares und Realistisches erwarten lassen.
Die Zentralperspektive im Foto bietet stets eine argumentative Evidenz an, der sich zunächst kaum jemand entzieht, weil der Sichtbarkeit des Bildes keine argumentative Unsichtbarkeit entgegengestellt werden kann, ganz egal wie lange behauptet wird, es sehe alles ganz anders aus oder es wäre gelogen. Ein Foto und jedes andere zentralperspektivische Bild offeriert ein positives Sinnangebot. Denn erst die sinnfällige Syntax appelliert über die hohe kommunikative Anschlusswahrscheinlichkeit, dem Rezipienten einer globalisierten Kultur etwas Visuelles und Kommunikatives mitzuteilen. Die visuelle Argumentation auf der syntaktischen Bildebene besteht also genau darin, eine visuelle Evidenz herzustellen, der sich Rezipienten kaum entziehen können, weil sie in Gliederung von Farbe und Form etwas erkennen, was sie im Fall der Zentralperspektive meist für realistisch halten. Die regelhafte Syntaktik stellt hier den Beziehungsaspekt her, deren Wirkung die Rezipienten dazu veranlasst, ein Bild zu betrachten und darin etwas zu erkennen.[32] Das schlagende Argument eines Bildes besteht auf der syntaktischen Ebene darin, dass es eine hohe Anschlusswahrscheinlichkeit an die wahrnehmende und emotionale Interpretationsfähigkeit des Betrachters hat. Insofern liegt in der regelhaften Syntaktik des Bildes der kulturell anschlussfähige »Beziehungsaspekt«[33] der visuellen Kommunikation, um sich in den Bilderkanon einer Epoche zu integrieren.
Viele Fürsprecher der visuellen Argumentation stützen sich auf die ästhetische Wahrnehmungserfahrung, die zweifellos mittels materieller Evidenz des Bildes überzeugt und deren semantische Fülle von keiner verbalen Sprache eingeholt werden kann. Selbst wenn ein Gemälde ausschließlich rote Farbe zeigt, hat es eine argumentative Evidenz, die an den Betrachter appelliert, dass eine besondere Bilderfahrung zu machen sei – wie z. B. die Bilder von Mark Rothko oder Barnett Newman. Insofern vermittelt jedes Bild seine spezifische Medialität und unverwechselbare, ästhetische Manifestation, wie Mersch herausstellt, aber als Argument versagt es.[34] Beispielsweise zeigt eine ikonische Kriegsfotografie zwar seinen Objektbezug – d. h. die Toten – realistisch, aber deshalb erlangen Bilder nicht den Rang eines formal logischen Arguments, sondern verbleiben als visuelle Erfahrung und provozieren das schlagende Argument einer inhärenten Bildlogik, die Menschen in Anbetracht der kriegerischen Gräueltaten erschauern lässt. Gerade, weil Bilder per Ähnlichkeit etwas bezeichnen, sich also ikonisch präsentieren, wirkt ihre Materialität unvermittelt auf den Wahrnehmenden und lässt jede Unterscheidung zwischen Signifikant und Signifikat temporär entbehrlich werden, um beispielsweise eine Filmvorführung im Flow zu genießen.
In der unvermittelten Wirkung eines Bildes unter Verzicht aller Arbitrarität eines Zeichens ist der wichtigste Aspekt zu erkennen, der als visuelle Argumentation metaphorisch beschrieben wird, weil diese letztlich kein formal logisches Argument ist, aber so verwendet wird als ob es eines sei. Visuelle Argumentation benennt auf der syntaktischen Ebene die rhetorische »Kunst, Recht zu behalten«[35], um mittels der sichtbaren Materialität und visuellen Unmittelbarkeit eine Folgebereitschaft zu erzeugen, sobald sich Rezipienten anlässlich des syntaktischen Stil des Beziehungsaspekts ergriffen oder zugehörig fühlen. Die Semiotik von Peirce führt die Folgebereitschaft darauf zurück, dass die Zentralperspektive ein regelhafter Zeichenbezug ist, deren kulturell geprägte Syntaktik eine Struktur dafür bietet, um im sogenannten »Sinzeichen«[36] eine Einmaligkeit darzustellen. Beispielsweise lässt ein juristisch verwendetes Beweisfoto eine Straftat erkennen, weil die Tat mit der Fotokamera perspektivisch dargestellt wurde und der Rezipient den Sinn des Fotos so interpretiert, dass es als Beweis überhaupt erst zur Geltung kommen kann. Im Alltag setzen Bildproduzenten regelmäßig ikonische Bilder als kulturell, geprägte Sinnangebote in dem Wissen um, dass interpretativ, offene Bedeutungen vom Kontext (frame) und dem Vorwissen des Rezipienten gelenkt werden. Solche Bilder können sowohl in einem argumentativen Schluss verwendet als auch gedankenlos in der kontemplativen Betrachtung genossen werden. Die interpretative Offenheit ikonischer Bilder legt keine Bedeutungsinterpretation und Verwendungsweise fest. Auf diese Weise überschreiten Bilder einerseits kulturelle Grenzen, aber nehmen andererseits ihre Bedeutungen nicht mit, sondern erhalten diese vom Betrachter vor Ort.
- [21] vgl. Schopenhauer 2019, 98.
- [22] Heßler, Mersch 2009, 9.
- [23] Minsky 1974.
- [24] vgl. Heßler, Mersch 2009, 8.
- [25] vgl. Kjeldsen 2012, 251.
- [26] Heßler, Mersch 2009, 9.
- [27] vgl. Peirce; Hartshorne; Weiss 1960.
- [28] vgl. Dove 2012, 223.
- [29] vgl. Schelske 1997, 146.
- [30] vgl. Schelske 1997, 34.
- [31] vgl. Romanyshyn 1989; Rehkämper 1993.
- [32] vgl. Schelske 1999, 149.
- [33] (Watzlawick; Bavelas; Jackson 1969, 53.
- [34] vgl. Mersch 2018, 25.
- [35] Schopenhauer 2019.
- [36] Peirce; Hartshorne; Weiss 1960, 2.243.