Essay
Woran erkennen wir »Enten« in den Medien?
Über der Umgang mit Falschmeldungen
»Epimenides der Kreter sagte: Alle Kreter sind Lügner.«
Bertrand Russell, 1908
I. Eine aktuelle Falschmeldung
Am 1. Juni 2023 überraschte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« mit einem Artikel unter dem Titel »Deutsche Fake News zur UN«[1]. Joachim Krause machte in seinem Artikel darauf aufmerksam, dass eine absurde Falschmeldung sich in etablierten Medien rasant verbreitet hatte, und stellte die Frage, wie dies möglich werden konnte.
Am 24. Mai 2023 wurden in einer koordinierten Aktion Wohnungen in ganz Deutschland durchsucht, da man Belege für die Auffassung finden wollte, dass es sich bei der »Letzten Generation« um eine kriminelle Vereinigung handeln würde, was im Nachhinein mehrere Fragen aufwarf: War diese Aktion verhältnismäßig oder die Kritik daran berechtigt? Hatte vor allem die Münchner Staatsanwaltschaft rechtmäßig und angemessen gehandelt? Das war eine in vielen Kreisen diskutierte Frage, und zumindest die Kritiker der Maßnahme freuten sich über Unterstützung von prominenter Seite und scheinen sich nicht mehr gefragt zu haben, ob die Vereinten Nationen dieses Vorgehen tatsächlich – so wie es viele Medien behaupteten – missbilligt haben, sondern nahmen diese Botschaft gerne auf.
Die Meldung war schlussendlich in etablierten Presseorganen zu lesen. Krause zitierte aus »Spiegel.de«, »Welt online«, aber auch aus der »Bildzeitung«. Der Tenor in all diesen Medien ist eindeutig: Die UN als Unterstützer der »Letzten Generation«. Vielleicht wollten viele Menschen dies auch gerne glauben. Dadurch, dass die Nachricht nun einmal in den Medien war, wurde sie weitergetragen. So schrieb die »Frankfurter Rundschau« am 27. Mai laut Krause: »Nach der Razzia gegen die ›Letzte Generation‹ melden sich die Vereinten Nationen und Amnesty International. Sie unterstützen die Protestgruppe.« Daraufhin folgte: »Die Tagesschau 24 vom 26. Mai brachte einen Bericht mit dem Titel ›Razzien gegen ‚Letzte Generation‘: UN fordern Schutz von Klimaaktivisten«.«[2]
Joachim Krause zitierte weitere Belege ausführlich, bis er die Aussage eines Vertreters der Gewerkschaft der Polizei in der Sendung von »Welt TV« aufgriff: »Der Mann hatte vollkommen recht. Tatsächlich war die Aufgeregtheit in der deutschen Medienwelt (…) die Folge einer Falschmeldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die in den deutschen Medien nicht weiter auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft wurde, sondern Anlass gab, immer neue Vermutungen und Anschuldigungen aufzubringen.«
Joachim Krause ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und steht nun ganz und gar nicht im Verdacht, lautstark »Lügenpresse« zu schreien, schon gar nicht in der FAZ. Vielmehr ist es ihm ein Anliegen, darüber aufzuklären, wie es zu einer solchen Falschmeldung, ich benutze den alten Begriff »Ente«, kommen konnte.
»Enten« stehen umgangssprachlich für Falschmeldungen, die sowohl bewusst oder auch irrtümlich in Medien verbreitet werden. Wie kommt es zu diesem Begriff? Auch darüber kursieren Gerüchte. Sei es nun das »non testatum«, »nt«, also nicht geprüft, oder die These, der Ausdruck käme aus dem Frankreich des 19. Jahrhunderts, also dem Beginn des Zeitungswesens, da es dort den Ausdruck gibt »donner des canard«, Enten geben – gleich lügen.
Die Frage, die sich nun stellt ist, was also war im Hinblick auf die UN-Falschmeldung geschehen? Es reicht nicht zu überlegen, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass sich das Sekretariat der UN dermaßen äußern würde. Tatsächlich wurde der Generalsekretär der UN Stephane Dujarric auf einer Pressekonferenz von der Frage überrascht und machte deutlich, dass er keine Details kennen würde. Er äußerte sich salomonisch, was heißt, er betonte die Notwendigkeit friedlicher Proteste und die Pflicht, Gesetze einzuhalten.[3]
- [1] Krause, Joachim: Deutsche Fake News zur UN. FAZ, Do., 1. Juni 2023, Nr. 125, S. 15.
- [2] Ebd.
- [3] Antwort Dujarric: »Sehen Sie, mir liegen die Einzelheiten der Operation nicht vor. Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass Regierungen offensichtlich die Verantwortung haben, das Gesetz einzuhalten und die Sicherheit zu wahren. Menschen haben auch ein Grundrecht, friedlich zu demonstrieren, damit ihre Stimme gehört wird. Und es ist klar, dass ein großer Teil der Fortschritte, die wir im Hinblick auf das Bewusstsein für den Klimawandel und die positiven Bewegungen gegen den Klimawandel gesehen haben, auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass Menschen auf der ganzen Welt friedlich demonstriert haben.« (FAZ, Mittwoch 7. Juni 2023, Nr. 130, S. 13.)