In der Wis­sen­schaft der Rhe­to­rik wird sehr bewusst nicht vor­dring­lich von Wahr­heit gespro­chen, gera­de weil die­se in Hin­blick auf poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen sich oft erst im Nach­hin­ein zu erken­nen gibt. Aus die­sem Grund wird Bezug genom­men auf die Defi­ni­ti­on des Aris­to­te­les, der erklär­te, dass Rhe­to­rik die Fähig­keit ist, das Glaub­wür­di­ge zu erken­nen.[7] Ent­schei­dungs­trä­ger ste­hen sehr oft vor dem Pro­blem, Ent­schei­dun­gen tref­fen und auch ver­tre­ten zu müs­sen, ohne voll­stän­dig auf Fak­ten und siche­re Pro­gno­sen zurück­grei­fen zu kön­nen. Trotz berech­tig­ter Wei­se gefor­der­ter Skep­sis gegen all­zu ein­fa­che Erklä­run­gen, müs­sen sie einen Weg fin­den, ihre Zie­le ange­mes­sen zu ver­mit­teln. Frei­lich heißt Ange­mes­sen­heit immer auch, dass jeder dem Anspruch nach Ratio­na­li­tät, Über­prüf­bar­keit und Begrün­dung gerecht wer­den muss. Wie also glaub­wür­dig mit der Wahr­heit umge­hen, obwohl es die Wahr­heit gera­de in Kri­sen­si­tua­tio­nen nicht geben kann? Und wie damit umge­hen, dass auch Augen­schein­li­ches nicht auto­ma­tisch zum rich­ti­gen Han­deln führt, son­dern ver­mit­telt wer­den muss?

Die Rhe­to­rik fragt aus die­sem Grund auch nach Plau­si­bi­li­tät. Sie weiß um die Bedeu­tung des Pathos, also der Gefüh­le, als Weg, einen Zugang zum Rezi­pi­en­ten zu fin­den, betont aber glei­cher­ma­ßen die Bedeu­tung von Logos und Ethos. Plau­si­bi­li­tät hängt mit der Form der Argu­men­ta­ti­on zusam­men, also Kri­te­ri­en wie u. a., ob die getrof­fe­nen Aus­sa­gen in sich stim­mig sind, even­tu­ell auch nach­voll­zieh­bar, ob es über­prüf­ba­re Nach­wei­se gibt, mit­hin wie die Quel­le zu bewer­ten ist.

Dass es heu­te schwie­ri­ger scheint zu erken­nen, was an den Din­gen glaub­wür­dig ist, hängt  auch damit zusam­men, dass sich immer mehr die Illu­si­on durch­setzt, dass es, um in die­ser Welt zurecht zu kom­men und Ent­schei­dun­gen tref­fen zu kön­nen, nicht dar­auf ankommt, Wis­sen zu haben, also gebil­det zu sein, son­dern an vor­han­de­ne Infor­ma­tio­nen gelan­gen zu kön­nen, sel­ten die­se auch deu­ten zu kön­nen. Die Gefahr, sich dann unkri­tisch auf Exper­ten, auch auf selbst­be­ru­fe­ne, zu ver­las­sen, liegt zwei­fels­oh­ne in der Kom­ple­xi­tät der Infor­ma­tio­nen begrün­det. Nach wel­chen Kri­te­ri­en soll eine Selek­ti­on – der immer unüber­sicht­li­cher ange­bo­te­nen Infor­ma­tio­nen – erfol­gen; wie wird es mög­lich, den selbst gewähl­ten Fil­ter­bla­sen gegen­über distan­ziert zu blei­ben. Gera­de weil es immer schwie­ri­ger wird, ein­deu­ti­ges Wis­sen über bestimm­te Umstän­de oder Gege­ben­hei­ten zu erhal­ten, gewinnt Glaub­wür­dig­keit an Bedeu­tung. Noch ein­mal sei betont, es geht kei­nes­wegs dar­um, auf kri­ti­sche Urteils­kraft zu ver­zich­ten, denn selbst­ver­ständ­lich gehört zur Glaub­wür­dig­keit, dass die gege­be­nen Infor­ma­tio­nen nach­prüf­bar bleiben.

Die Fra­ge, wie die­se zu erken­nen ist, inter­es­siert die Rhe­to­rik von Anbe­ginn an –selbst­ver­ständ­lich im Hin­blick auf dama­li­ge Medi­en. Denn gera­de mit der Fra­ge nach dem, was als glaub­wür­dig anzu­se­hen ist, beginnt die Her­aus­bil­dung der rhe­to­ri­schen Theo­rie in der Anti­ke. Selbst­ver­ständ­lich ist die anti­ke Situa­ti­on nicht so ein­fach auf die heu­ti­ge Pro­ble­ma­tik zu über­tra­gen, aber es sind doch wich­ti­ge Erkennt­nis­se aus die­ser Situa­ti­on, bezo­gen auf heu­ti­ge Fra­ge­stel­lun­gen, zu berücksichtigen.

Eine wich­ti­ge Erkennt­nis der Demo­kra­tie in Athen war ihre Ver­knüp­fung mit der Macht der Rede. Solan­ge nicht in Fra­ge stand, dass von Göt­tern ein­ge­setz­te Köni­ge gött­li­che Rat­schlä­ge befolg­ten, war kei­ne Rhe­to­rik not­wen­dig, und es reich­te aus, jun­ge Män­ner auf ihre Rol­le als Adli­ge durch Musik und Gym­nas­tik vor­zu­be­rei­ten. Über­trag­bar ist dies auf auto­ri­tä­re Staa­ten. Auch hier wird Rhe­to­rik genutzt, um Befeh­le zu beschö­ni­gen oder Sym­pa­thien zu gewin­nen, aber es geht im Grun­de auch ohne die­se, denn es reicht der Befehl und es reicht, Nach­rich­ten zu ver­brei­ten, die nur unter erschwer­ten Bedin­gun­gen kri­ti­siert wer­den kön­nen, sonst aber nicht auf Fak­ten, son­dern auf den durch Befehl wei­ter­ge­ge­be­nen Mel­dun­gen beru­hen. Also erst wenn der mün­di­ge Bür­ger, die mün­di­ge Bür­ge­rin gefragt ist, in der Anti­ke das sog. zoon poli­ti­kon, das für sein Den­ken wirbt, das ableh­nen und zustim­men will, bedarf es der Fähig­keit, reden zu kön­nen und zur Rede ste­hen kön­nen. Über­tra­gen auf unse­re Zeit bedeu­tet dies, sei­nen Stand­punkt begrün­den und gege­be­nen­falls auch in Fra­ge stel­len las­sen zu kön­nen – oder wie in unse­rem Bei­spiel zu revi­die­ren. Wenn es kei­nen ver­bürg­ten Zugang zur gött­li­chen Weis­heit gibt, wenn nicht von vor­ne­her­ein klar ist, was wahr und was unwahr ist, dann müs­sen Men­schen sich bera­ten, um gemein­sam die Gesell­schaft, damals die Polis, zu gestal­ten – sei es in der Volks­ver­samm­lung, vor Gericht oder im phi­lo­so­phi­schen Gespräch. Für den eige­nen Stand­punkt muss gewor­ben wer­den, wenn er sich in Pro­zes­sen der Ent­schei­dungs­fin­dung durch­set­zen soll. Im Athen des 5. Jahr­hun­derts ent­wi­ckelt sich der Poli­ti­ker als der, der zu reden ver­steht. Und selbst­ver­ständ­lich gibt es pas­send hier­zu schnell die ers­ten Rede­leh­rer, die Sophis­ten, die ihre Schü­ler die Macht des Wor­tes leh­ren. Die rhe­to­ri­sche Erzie­hung der Bür­ger dient der Kul­ti­vie­rung der Polis.

Damit stellt sich für uns heu­te die Fra­ge, ob die Erzie­hung zur Medi­en­kom­pe­tenz die­se Anfor­de­rung wirk­lich erfüllt.